Katrin Köhler: Das existenzialistische Musical (Auszug)

Reingelesen: manuskripte 233 (2021)

Text: Katrin Köhler - 25.11.2022

Rubrik: Literatur

Katrin Köhler, Credits: Silas Mikkel Andersen

Katrin Köhler (*1987 in Iwano-Frankiwsk/Ukraine) lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Künstlerin in Hamburg. Sie war Styria-Artist-in-Residence 2021/22, Stipendiatin im Literarischen Colloquium Berlin, Finalistin um den Leonce-und-Lena-Preis 2021 und ist manuskripte-Literaturförderungspreisträgerin 2022.

Was lässt sich erzählen, in Gleichnissen, um eine Zukunft zu verraten, um eine Vergangenheit zu richten. Orientierung als (Wieder)Erkennen, als Verweis auf Wiederholung. Orientierung ist eine Abfolge von Verwegungen und Richtungen in überlagerter Gleichzeitigkeit. Orientierung ist unabhängig vom sie umgebenden Gebiet: Ist die Orientierung abhanden, kann der Raum selbst nichts hervorbringen: Die Austauschbarkeit der Dinge als Abwesenheit der Füllung, als was sich nicht vorstellen lässt, bedeutet Tod.
Der Richter, der Abgespaltene (er ist einer der geschlossenen Menschen): „Für zwei Dinge, die man sich selbst nicht glaubt: dass man ist, und dass man nicht ist. So beobachten wir uns gegenseitig. Heimlich unbemerkt erkannt. Im insich Umschauen hohl, im woanders Hinhören benommen. Es wissend von sich, es wissend vom anderen, führen wir Unwissen vor. Spielen wir, einander, ein bisschen Drängendes und Ziehendes. Sprechen wir, überlaut, nur das, was wir gern wollten zu wollen und setzen zusammen, wie von unten herauf wir wirklich sind.“
Ein Mangel an Orientierung ist ein Nicht-zu-Hause sein. Ein Nicht-zu-Hause- Sein ist Unheimlichkeit. Unheimlichkeit ist invertiertes Wundern, sodass man annimmt, seinen eigenen Schädel noch vor seinem Kopf ganz fest in den Händen zu halten und an ihm zu ziehen und zu zerren und ihn anzustarren, ganz voll stockender Wut.
Heimkehr, Heimischmachen, auf dem „Um“weg, dem Anwesen zwischen etwas und der Unheimlichkeit. Nach Hause wollen, als am schwerwiegendsten verlangtes, unentbehrliches, unhinterfragbares Begehren, heraus aus der Kargheit, der Verfehlung, dem Drangsal einer Orientierungslosigkeit. Was lässt sich erzählen, vielmals dirigieren, in einem Beieinander halten. Ist eine Wiederholung identisch, ist sie tot.
Aushaltend erreicht es trotzdem, etliche Abdrücke vorauszuschicken, statt hintan. Es ist nicht so, dass es nicht aufhören würde. Es fängt nur im Aufhören immer wieder erneut an.

manuskripte 233 (2021)