Auftanken als ganzheitliches Prinzip in Jammeregg
Kritik: Zarte Banden, Vitamins of Society
Text: Robert Goessl - 30.07.2024
Rubrik: Theater
Der zweite Teil des Jammeregg-Zyklus ist wie auch schon der erste Teil tief in der Landschaft verankert - nicht zuletzt wegen der traumhaften Freiluft-Bühne im Hoftheater Mathans, liebevoll trashig gestaltet von Julia Freiberger-Tannenberg.
Im Stück, geschrieben wie immer vom Hausautor der Vitamins Johannes Schrettle, geht es um große Pläne und ebenso große Gefühle in den Weiten der Südweststeiermark. Es geht um Menschen, die in Jammeregg stranden, nach Jammeregg flüchten oder einfach dorthin zurückkehren, zu diesem mystischen Flecken voller Energie, der mehr als ein geografischer Punkt ist, an dem sich die Wünsche und Sehnsüchte aber auch die Ängste und Abgründe des Lebens zu manifestieren scheinen. Ein wesentlicher Teil der Inszenierung ist die Band (Roli Wesp (auch der Komponist), Daniel Kern und Michael Schumann), die die Stimmung mit alternativem Deutschrock kräftig auffetten, unterstützt von der allgegenwärtigen Brigitta Lampl als Conférencière und Tänzerin .
Credit: Bernhard Lampl
Die neue Kraft am Land
Alles beginnt an der Tankstelle, dem zentralen Treffpunkt des Orts, der zumindest nach den Plänen von Horst Rodriguez (Harry Lampl) und Lou Leinter (Patrick Isopp) zu einem solchen werden soll. An diesem Ort darf es nicht nur den Autos gut gehen, sondern auch den Menschen. Die Schönheit soll nicht nur den Karosserien, sondern auch den Körpern zuteilwerden. Es wird nicht nur für Treibstoff für den Motor, sondern auch für Energie für Geist und Seele gesorgt werden. "Wir kämpfen nicht mehr gegen unsere Angst sondern wir nehmen die mit und entdecken sie." Dem nicht genug wird auch eine aufstrebende lokale Band für Veranstaltungen dort einquartiert. Dass dann auch noch ein Schnaps gebrannt werden soll, der das Aroma und den Geist der Landschaft in sich trägt, versteht sich in der Südsteiermark von selbst.
Credit: Bernhard Lampl
Prekäre Verhältnisse und überhebliche Erscheinungen
Da es am nötigen Kleingeld für diese großen Pläne mangelt, will man fürs erste auf Praktikant:innen zurückgreifen. Da trifft es sich gut, dass zwei Frauen am Ende ihrer Kohle und Rande des Nervenzusammenbruchs mit kaputtem Motorrad dort eintreffen, wobei Josefine Schneemann (Damaris Dumitru) und Charlie Oderwie (Sissi Noé) äußerste Flexibilität bei der Wahl ihrer Tätigkeiten an den Tag legen. "Schatzi wir sind aber ziemlich heiß darauf was zu lernen von dir. Du kannst uns sicher einiges beibringen." Es könnte sich alles zum Guten wenden, doch der Versicherungsmakler – oder vielmehr der abgehoben arrogante Versicherungs-Macker und Beherrscher aller Risiken in weiten Teilen der Steiermark und Alt-Österreichs – Deibl Waldi (Jimi Lend) möchte auf seiner Erfolgslandkarte auch noch die Tankstelle als weißen Fleck tilgen, seinen Ford Diablo auf Vordermann gebracht wissen und, um seinen Liebeskummer zu bekämpfen, etwas weiblichen Zuspruch.
Credit: Bernhard Lampl
"WARE SCHÖNHEIT UND INNEN AUTO KORREKTUR FRISUR" unter Rauch und Feuer
Ein Hauch von Schwefel liegt da in der Luft, bevor die armen, für alles offenen Praktikantinnen ihre Arbeit aufnehmen. Ein schlüpfriges Missverständnis fällt dem Verursacher vor die Füße und so tritt auch die gefürchtete Rocker-Gang "Wild Roses" ihre einschüchternde in Aktion. Man(n) braucht eben zunächst einmal Unsicherheit, um Sicherheit verkaufen zu können. So tritt mitunter das Böse als gut und das Gute als böse auf, auch weil Frau Gottmann (Sophia Laggner), vor Ort auf Entspannungssuche durch körperliche Arbeit, sich all die allumfassende bestimmende Macht von außen erweist. Sie weiß: Geld ist relativ und vor allem auch grenzenlos vorhanden, wenn sich damit Schönheit durch Wäsche am Land abbilden lässt. Doch die Natur der wahren Liebe kann auch in Jammeregg den höchsten Wesen einen Strich durch die Rechnung machen.
Credit: Bernhard Lampl
Mit Musik dahinter und davor und dynamisch humorvoll präsentiert sich die Inszenierung des Vitamins of Society-Masterminds Jimi Lend, der die absurde Geschichte am Rande der Realität mit tiefgängigen Spitzen und voller Geheimnisse auf die Bühne bringt. Zwischen Verwechslungs-Komödie und mystischer Fantasy-Story im Twin-Peaks-Look entfaltet sich eine Energie, die immer wieder - auch Dank der Einfälle des Autors Johannes Schrettle - neue Ebenen öffnet und so manche Assoziationen im eigenen Geist entfachten. Ensemble, Band und Natur agieren als spielfreudige Einheit. Sie machen diesen Abend zu einem Gesamterlebnis, das über einen Theaterbesuch hinausgeht. Man will zugleich ewig in Jammeregg bleiben und so weit wie möglich sich von seinen Abgründen entfernen - doch eines sollte man dabei nicht vergessen:
Man kann Jammeregg verlassen, doch wer einmal dort war, den wird Jammeregg niemals verlassen.
"Ich brenne für Jammeregg und das braucht Zeit, weil das so a unverwechselbare Note dann kriegt wenn die Maische die Zeit braucht, [...], dass du die einilegen willst, das ist dieses Jammeregger!"
Vorstellungen:
auf der Hofbühne Mathans in Sankt Ulrich im Greith
(bei Schlechtwetter im Greith Haus)
am 2., 3., 5., 8., 9. und 10. August um 19:30
am 4. August um 17:00
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auf der Murinsel in Graz
am 14., 15., 16., 17. und 18. August um 19:30
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