Krise am Beispiel des Kniegelenks

Kritik: Warum bricht mein Knie gerade jetzt, Die Rabtaldirndln

Text: Sigrun Karre - 17.01.2025

Rubrik: Theater

Credit: Nikola Milatovic

Die Rabtaldirndln haben sich über die Jahre zu einem Fixpunkt des performativen Theaters entwickelt. Ihre neueste Produktion, "Warum bricht mein Knie gerade jetzt", feierte am 16. Jänner im Kristallwerk Graz Premiere – und es war ein Abend, der in vielerlei Hinsicht Maßstäbe setzte. Ein humorvoller, tragischer und musikalisch innovativer Angriff auf Körper, Geist und Gesellschaft, ließ dem Publikum kaum Zeit zum Durchatmen.

Mit den Rabtaldirndln verhält es sich im individuellen Fall ein wenig so, wie mit jener Band, die einen seit 30 Jahren begleitet, man erliegt der anregenden Illusion telepathischer Verbindung: gleiche Generation und ähnliche Sozialisation verbinden zwangsläufig. Neuerdings ertappt man sich dabei, wie man sich umsichtig um das Funktionieren seines Körpers kümmert – Das Ende von “Noch-nicht-alt" kündigt sich an. Just gibt es dazu eine nagelneue Rabtaldirndln-Produktion.

Credit: Nikola Milatovic

Mit den Rabtaldirndln geht man in die Knie – im besten Sinn

Schon der Einstieg ist typisch Rabtaldirndln: Ein gesungener „Abspann“ dreht die konventionelle Reihenfolge um und lässt die Erwartungshaltung des Publikums herrlich ins Leere laufen. Mit absurdem Witz und einer gehörigen Portion Selbstironie nehmen die Performerinnen ihre Rollen als “Insassinnen“ einer Rehaklinik ein. Bereits hier wird klar: Der Abend wird ein Balanceakt zwischen derben Pointen und tiefschürfender Analyse.

Die Körperoper – ein Genre, das die Rabtaldirndln hiermit für sich erfunden haben – erzählt von vier Frauen, die sich in der Reha begegnen. Jede bringt ihre ganz persönliche Kniegeschichte mit: ein (in Bälde) gebrochenes Knie, ein eingebildetes Leiden, ein “Bananenfuß” . Was nach Klamauk klingt, wird durch die musikalische Komposition von Imre Lichtenberger Bozoki und die Regie von Helmut Köpping zur präzisen und bitteren Reflexion über Körperlichkeit, Alter und die Zumutungen des Lebens.

Doch nicht nur persönliche Schicksale werden verhandelt. Die Leiden der Protagonistinnen stehen für größere gesellschaftliche Umbrüche: Transhumanismus, Fake News, Klimakrise und die Bedrohung demokratischer Grundwerte, kurz, alle großen Themen, die uns kollektiv gerade umtreiben, werden wie beiläufig angeteasert. Der nihilistische Grundton zieht sich wie ein roter Faden durch das Stück: "Zukunft. Zukunft. Keine da."

Credit: Nikola Milatovic

Humor und Tragik

Bemerkenswert an der Produktion ist die maximale Polarität von Humor und Tragik und einem finalen Moment der Innerlichkeit. Ein banaler Reha-Klinik-Alltag wird zur Bühne für philosophische Fragen, die Videos von Waldbränden und schwelenden Landschaften machen die Klimakrise greifbar, während schillernde Opernkostüme – drei Harems(!)-Hosen und ein Abendkleid – das Absurde feiern.

Mit perfektem Timing wechseln die vier Darstellerinnen – Barbara Carli, Bea Dermond, Rosa Degen-Faschinger und Gudrun Maier – zwischen slapstickartigen Szenen und ernsten Momenten. Besonders beeindruckend: Die musikalische Umsetzung durch eine hervorragende Liveband und der vielschichtige Gesang. War die Bühnenpräsenz der Rabtaldirndln bisher immer demokratisch “geviertelt”, nimmt dieses Mal Gudrun Maier als später kommende Frau Maier “vom ORF” – auch stimmlich – eine zentrale Rolle ein.

Credit: Nikola Milatovic

Knie als Sinnbild der Welt

Das Knie als größtes menschliches Gelenk symbolisiert in diesem Stück das Leiden an innerer und äußerer Versehrtheit und am Weltschmerz. Die Reha wird so zur Metapher für einen notwendigen gesellschaftlichen Heilungsprozess – oder das Scheitern daran. Mit "Warum bricht mein Knie gerade jetzt" haben die Rabtaldirndln möglicherweise ihre bisher beste Arbeit abgeliefert. Humorvoll, tiefgründig und musikalisch innovativ loten sie die Grenzen zwischen Theater, Oper und Performance aus. Es ist ein Stück, das nachwirkt – im Kopf, im Herzen und vielleicht auch im Knie.

Schauspiel und Gesang: Barbara Carli, Bea Dermond, Rosa Degen-Faschinger, Gudrun Maier

Regie: Helmut Köpping
Komposition: Imre Lichtenberger Bozoki
Text: Die Rabtaldirndln und Helmut Köpping
Bühne und Kostüm: Markus Boxler
Liveband: Imre Lichtenberger Bozoki, Benno Hiti, deeLinde
Ton: Fritz Hierzegger
Technik: Thomas Bergner
Künstlerische Mitarbeit: Azlea Wriessnig
Korrepetitorin: Natali Kazlauskaitė
Grafik: Helene Thümmel
PR: Andreas Peternell / TRAFO
Produktion: Magdalena Stolhofer / dieKulturtanten