„Wir sind einander zu Haus!“*

Kritik: Vulgo im Stieglerhaus in St. Stefan ob Stainz

Text: Sigrun Karre - 19.09.2023

Rubrik: Theater

Credit: Michael Sticher

Im stimmungsvollen Garten des Stieglerhauses in St. Stefan ob Stainz wurde an drei Abenden ein Singspiel auf die Bühne gebracht, indem das Haus und die Dorfbewohner*innen in tragenden Rollen zu erleben waren.

Ein Haus, das im Hintergrund allwissend auf die Freiluftbühne „blickt“ und aus dem Off zu den zwei archetypischen Bühnenfiguren spricht (Stimme: August Schmölzer) . Im Lager des kraftstrotzenden Narren (Felix Krauss) bläst die örtliche Blasmusikkapelle den Marsch, der St. Stefaner Kirchenchor gibt die singende Gefolgschaft der sanften Fee (Ninja Reichert). Es ist ein ungewöhnliches Setting, in dem sich das Singspiel „Vulgo“ dem Publikum präsentiert. Eine Bühnengeschichte wird nicht erzählt, sondern bildlich und etwas betulich eine Theorie aufgestellt. Links steht das Männliche: kriegslüstern, diszipliniert, impulsiv, „gestrig“, rechts das Weibliche: sanft, liebend, harmonisch und „gegenwärtig“. Dieses allegorische Schwarzweiß bietet den Schauspieler*innen für ihre Rollen nicht viele Facetten, dafür ist der Stoff quasi für alle Altersstufen „barrierefrei“ und somit familientauglich. Felix Krauss findet in der Figur des Narren etwas mehr Spielraum vor, gibt einmal den Hanswurst, den verspielten, aber unterwürfigen Stieglerhaus-Narren, der dem Leben, der Liebe und den Frauen nicht trauen mag. All das absolviert er mit beeindruckend körperbetonter und sichtlich schweißtreibender Performance. Als Konterpart zum dynamischen Narren ist die Figur der Fee gänzlich statisch angelegt. Ninja Reichert bleibt also nichts anderes übrig, als 80 Minuten lang Anmut zu verkörpern, das gelingt. Das Libretto aus der Feder von Sophie Reyer beinhaltet einige poetische Perlen, die man gerne noch nachlesen würde, manche Tiefgründigkeit lässt sich beim Hören nur flüchtig erfassen. Im Hintergrund entrollen sich zwei Leinwände, die mit Animationen von Nina Ortner bespielt werden. Sie deuten historisch dunkle Kapitel der (Orts-)Geschichte an, ohne eindeutig zu werden. Von solchen subtil-assoziativen „Freiflächen“ wünschte man sich mehr. Die Musik zum Singspiel kommt – und das ist speziell – von der Blasmusikkapelle und dem Kirchenchor aus St. Stefan ob Stainz. Gesungen und gespielt wird aber nicht das klassische Repertoire, sondern eine Auftrags-Komposition von Viola Falb.

Credit: Michael Sticher

Bühne als Dorf

Im Bühnen-Miteinander der Dorfbewohner*innen mit den Profi-Schauspieler*innen entstehen dann tatsächlich Momente, die  – ungeachtet fehlender Stringenz oder Perfektion – berühren. Bei diesem Projekt, so scheint es, sind auch real ein paar Barrieren gefallen und hat sich – zumindest temporär – eine Gemeinschaft entwickelt, die Potenzial für Zukünftiges hat. Dieser Eindruck wurde im Künstlergespräch nach er Aufführung (Moderation: Heidrun Primas und Georg Schütky) von den Beteiligten unisono bestätigt. „Zuerst hab‘ ich mir gedacht, wenn ich jünger wäre, würde ich da sofort mitmachen!“, erzählt eine der Chorsängerinnen, die trotz anfänglicher Bedenken froh ist, dabei gewesen zu sein und sich wünscht, dass auch ihre Enkelkinder in drei Jahren mittun, „wenn wieder sowas gemacht wird!“ Theater als Komfortzonen-Exit und Angebot zum gemeinsamen Tun, vielleicht ist das ja auch, was Kultur im dörflichen Kontext bewegen kann oder darf. Sie muss vielleicht nicht immer gleich die (ganze) Welt verändern. Stieglerhaus Leiterin Nina Ortner würde sich in Zukunft über offensives Interesse der Bevölkerung freuen. Ein dritter Drei-Jahres-Wunsch an die „gute Fee“ kommt von einer Besucherin, der Regisseurin und Leiterin des Mezzanin Theaters, Natascha Grasser: „Ich würde mir wünschen, wenn sich das Haus für Künstler*innen aus Stainz und Deutschlandsberg vermehrt öffnet.“   *Aus dem Libretto von VULGO, Sophie Reyer.

Credit: Michael Sticher

DAS VULGO TEAM Fee: Ninja Reichert Narr: Felix Krauss Einpeitscher/ Moderator: Robert Stadlober (Stimme) Das Haus: August Schmölzer (Stimme) Chor: Singkreis St. Stefan Sopran: Maria Anna Bonstingl, Silvia Klöckl, Brigitte Muster, Ingeborg Maria Ortner Alt 1: Maria Kahr, Ida Klug, Helga Puchas Alt 2: Anna Csernicska, Anna Nestl Bass: Ernst Ebermann, Josef Klement, Leonhard Stampler (Chorleiter) Blasmusiker*innen aus der Region und dem Musikverein St. Stefan Birgit Bretterklieber, Sara Kuhlmann: Querflöte Monika Kislinger: Klarinette Elena Fließer: Altsaxophon Simon Hackl, Andrea Schreiner, Karl- Heinz Tappler: Horn Franz Trost: Tenorsaxophon Samuel Schadl: Kleine Trommel Josef Gschier: Große Trommel Dietmar Haas: Klavier, Korrepetition Regie: August Schmölzer Libretto: Sophie Reyer Komposition: Viola Falb Sounddesign: Bernd Satzinger, Nina Ortner Kostüm: Yvonne Beck Bühnenbau: Francis Kügerl Lichtdesign: Martin Schneebacher Tontechnik: Stefan Bauer Regieassistenz: Sarah Peißl Fotografie: Michael Sticher, fotografist.at Video- Dokumentation: Roland Renner, reziprok Visuals & Produktionsleitung: Nina Ortner In den Visuals: Sophie Seidl, Sophia Kellersperg, Julia Hiden, Stella Mauko- Ofner, Magdalena Kohlbacher, Maximilian Hinteregger, Finn Spari, Oliver Zötsch

Credit: Michael Sticher