Vera - dem Wahren auf der Spur

Kritik: Vera, Grazer KIZ Royal Kino

Text: Sigrun Karre - 09.01.2023

Rubrik: Film

Vento Film Productions GmbH

Vera Gemma spielt Vera Gemma. Und zwar im preisgekrönten Doku-Spielfilm 'Vera' des österreichischen Regie-Duos Tizza Covi und Rainer Frimmel. Sehenswert!

Vera Gemma lebt im Schatten und vom Erbe des berühmten Schauspieler-Vaters Giuliano Gemma. Soweit die Ausgangslage, bei der sich Realität und Fiktion noch deckungsgleich verhalten. In den ersten Filmszenen von „Vera“ begleiten die Zuseher*innen Vera Gemma in der Rolle der Vera Gemma bei ihrem einsamen Streifzug durch das nächtliche Rom. Dabei werden ungeschminkte, zugleich berührend-intime Einblicke in den Charakter und das Milieu gewährt. „Schön zu sein war immer das Wichtigste …“, erklärt Vera der müden Kellnerin bei einem letzten Drink zur Sperrstunde. Die 52-jährige erfolglose Schauspielerin fällt durch allzu offensichtliche Schönheits-OPs und exzentrische Outfits inklusive Cowboyhut – eine Reminiszenz an den Vater– optisch deutlich aus dem Rahmen. Ein junger Taxi-Fahrer nimmt nach der Heimfahrt ihre Einladung zu einer gemeinsamen Zigarette an, die zu einer gemeinsamen Nacht lehnt er höflich ab. Einsamkeit ist ein Motiv, aber auch Sehnsucht nach dem „wahren Leben“. Das sucht Vera unter anderem in Alltags-Gesprächen mit Menschen, die nicht Teil der Schickimicki-Gesellschaft, sondern sogenannte „kleine Leute“ sind. Daneben steht aber auch eine „standesgemäße“ Luxus-Shopping-Tour und ein ernüchterndes Vorsprechen für eine Filmrolle auf Veras Tagesplan. „Ihr Gesicht ist zu modern für einen Kostüm-Film“ formuliert der Regisseur euphemistisch und fordert schnell noch ein Selfie mit Vera ein, als er erfährt, dass die Tochter der Italo-Western-Legende vor ihm steht. Weitere Selfie-Anfragen absolviert Vera im Laufe des Films mit routinierter Pose. Auch Veras junger Liebhaber und Nachwuchsregisseur ist hauptsächlich an ihrem Tochter-Dasein interessiert, respektive ihren Kontakten und ihrem Geld, das allerdings langsam schwindet.

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Von Töchtern und Täuschungen

Als Veras Chauffeur einen Unfall verursacht, bei dem ein kleiner Junge verletzt wird, nimmt die Geschichte Fahrt auf und steigert sich in einer Zuspitzung von Konflikten. Ein filmischer Höhepunkt ist Gemmas Dialog mit Asia, der Tochter von Film-Altmeister Dario Agento, die wie Gemma im Schatten des berühmten Vaters lebt. Ein namenloses Grab mit der Aufschrift „Hier ruht Goethes Sohn“ bringt die beiden zum philosophischen Sinnieren über ihr eigenes Tochter-Dasein. Auch die süditalienische Mentalität und Lebensweise kommt atmosphärisch authentisch rüber: etwa in Gestalt der einfachen, aber (bis zum Wendepunkt) einnehmend herzlichen Vorstadt-„Nonna“ (an dieser Stelle Lob an den Cast) des verletzten Jungen, um den sich die kinderlose Gemma nach dem Unfall kümmert. Glaubwürdig malt der Film in einem behutsamen Wechselspiel aus Nähe und Distanz das Porträt einer Frau voller Ambivalenzen. Trotz erlittener Kränkungen und Verletzung ihrer Würde hat Vera ein großes Herz und innere Stärke. An der Reduktion auf ihr Äußeres, unter der sie leidet, ist sie als Stammgast beim Schönheitschirurgen ebenso beteiligt, wie an der (Selbst-)Täuschung, sich Zuneigung erkaufen zu können. So referenziert der Filmtitel „Vera“ (lat.: „wahr“, „die Wahre“) nicht nur auf die reale Person der Vera Gemma, sondern auch auf die narrative Ebene des Films, das Erkennen von Wahrhaftigkeit und Wahrheit hinter dem (Selbst-)Betrug. Dass die römische Reality-Trash-TV-Bekanntheit Vera Gemma ausgerechnet mit Selbstironie und Mut zur Uneitelkeit den "Orizzonti" - Preis für die beste Schauspielerin in Venedig abgeräumt hat und sich damit vom übergroßen Vater doch noch emanzipieren konnte, wäre schon wieder Stoff für einen weiteren Spielfilm. Wenn auch eher made in Hollywood.

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