Die Wünsche der Anderen

Kritik: Unterm Rad, Next Liberty

Text: Lydia Bißmann - 22.01.2023

Rubrik: Theater

Credit: Stella Kager

Mit einer fünfköpfigen Truppe auf der Bühne des Next Liberty adaptiert Regisseur Kristo Šagor die Erzählung Unterm Rad von Hermann Hesse für die Bühne. Er bleibt dabei sehr nahe am Originaltext und mischt szenisches Spiel mit den Erzählungen der Darsteller*innen, die in mehrere Rollen schlüpfen. Nur Hans Giebenrath (Christoph Steiner), der Protagonist, bleibt immer er selbst. Ein Privileg, das ihm in der Handlung verwehrt wird.

Hans Giebenrath ist kein Nerd, er ist ein Streber. Schon bevor das Stück beginnt, sitzt er bereits auf der Bühne und steckt den Kopf in seine Bücher. Unterm Rad ist eine Geschichte, die zwar über 100 Jahre alt ist, aber nichts von ihrer Aktualität verloren hat. Zwar lernen nur noch wenig Kinder Altgriechisch oder Hebräisch in der Schule, müssen aber trotzdem nach wie vor mit der Ignoranz und der Selbstverliebtheit von vielen Erwachsenen klarkommen. Hans Giebenrath tut sich leicht mit dem Lernen und muss daher als Gefäß herhalten, das von seinem Vater, dem Pfarrer, dem Lehrer und noch weiteren honorigen Personen (dargestellt von Helmut Pucher) mit deren eigenen Wünschen und Träumen gefüllt wird. Ob er auf das Priesterseminar möchte, spielt keine Rolle, er selbst denkt auch gar nicht daran, diesen Beschluss zu hinterfragen und verzichtet freiwillig auf alles, was ihm lieb ist. Auf das Angeln mit Freunden und die Kaninchen im Garten. Weil er die Aufstiegssehnsucht des Kleinbürgertums unverdaut verinnerlicht, hilft ihm auch die Nähe zum Schuhmachermeister Flaig (Martin Niederbrunner) nichts, der in ihm als einziger Erwachsener mehr sieht, als eine Lernmaschine. Das kann nicht gut ausgehen und tut es auch nicht. Obwohl er Freundschaften schließt (Lukas David Schmidt) und erste erotische Erfahrungen sammelt (etwa mit Simone Leski) schafft er den Sprung in ein selbstbestimmtes Leben einfach nicht.

Credit: Stella Kager

Tristes Umfeld für zarte Pflanzen

Diese bedrückende Situation wird durch das schräg gestellte, grau gehaltene Bühnenbild (Denise Heschl) verstärkt. Hinter runden Torbogen blitzen magere grüne Bäumchen hervor. Neben einer weihnachtlichen Glitzerstola in Gold bringen sie als einzige ein wenig Farbe ins Spiel. Auch die Kostüme sind grau in grau gehalten. Perfekt sitzende Kleinbürgerlichkeit, unter denen nur die Jugend der Schauspieler*innen, die auf ehrenwert und würdig geschminkt sind, hervorblitzt. Es gibt wenig Requisiten, die aber multifunktional verwendet werden. Graue Holzlatten dienen als schützenden Zelt, in dem geküsst wird oder auch als eine Art Last, die Hans ganz allein schleppen muss. Die minimalistischen Technobeats von Sebastian Katzer, die die Dramatik im Geschehen untermalen, sind schöner Kontrast zu Hesses sachlichen, aber trotzdem intimen Formulierungen. Gekonnt, aber ohne Eile, schlüpfen die Spielenden von einer Rolle in die nächste. Hast und Leidenschaft schickt sich nicht für ehrenwerte Bürger*innen einer Kleinstadt. Nur manchmal dürfen kleine Einlagen wie ein länger andauernder Lachanfall von Martin Niederbrunner als Geselle für Auflockerung sorgen. Unterm Rad ist kein Feel Good-Stück, es ist eine der tragischen Coming-of-Age Geschichten, deren Botschaft immer funktioniert. Dem Next Liberty ist es mit dieser sehr sorgfältig gespielten und ausgestatteten Inszenierung einmal mehr gelungen, fordernden Stoff für Jugendliche ab 14 (aber nicht nur für diese) auf die Bühne zu bringen.

Credit: Stella Kager