Cancel Culture als Musical

Kritik: Slippery Slope, Schauspielhaus Graz

Text: Lydia Bißmann - 10.02.2025

Rubrik: Theater
Kritik: Slippery Slope, Schauspielhaus Graz

Sarah Sophia Meyer als beeindruckende Klara in Slippery Slope (Credit: Lex Karelly)

Felix Hafner inszenierte das Fast-Musical "Slippery Slope" von Yael Ronen (Text) und Shlomi Shaban (Text und Musik) auf der Bühne des Schauspielhaus Graz. Das Ergebnis ist eine performativ profunde Inszenierung mit einem sensationellen Ensemble, das sowohl im Einzelauftritt als auch im Kollektiv glänzt. Daher macht es auch nichts, dass man die Handlung nicht so richtig kapiert und leider auch keinen einzigen Ohrwurm mit nach Hause nehmen kann.

Željko Marović begeistert in der ersten Szene als in die Jahre gekommener Singer-Songwriter, der mit seiner ostentativen Selbstverwirklichungsmasche Hits aus allen möglichen Kulturen klaut und schlussendlich darüber stolpert. Herrlich ist das Barbie-Grinsen unter den fettigen, langen Haaren – es ist schwer, die eigentlich eklige Figur nicht zu mögen, zu lustig sind seine Verzweiflung, sein empathisches Unvermögen, seine narzisstische Tolpatschigkeit. Gustav ist ein schwedischer Liedermacher, der nach langer Skandalpause ein Comeback wagt und dem Publikum von seiner Geschichte erzählt. Sein Herz hängt noch an der jungen Sängerin Sky, seiner Ex-Geliebten, die inzwischen mit einem anderen Produzenten ungleich erfolgreicher ist als der Old-School-Bänkelsänger mit Ethno-Vorlieben. Luiza Monteiro glänzt als unglaublich stimmgewaltige und wandelbare Sängerin. Ihr Auftritt in kinnlangen, silbernen Overknees auf einem Instagram-Heiligenschein ist schier umwerfend. Schade ist nur, dass die eigentlich vielschichtige Figur der Sky neben Gustav kaum Raum zur Entfaltung bekommt. Sie bleibt eine traumhaft singende und spielende Projektionsfläche, was sich auf mehreren Ebenen seltsam anfühlt.

Kritik: Slippery Slope, Schauspielhaus Graz

Die ausgebildete Sängerin Luiza Monteiro spielt Sky. (Credit: Lex Karelly)

Schillernde Nebenfiguren und mehr

Sarah Sophia Meyer gibt mit jeder Pore ihres Körpers die karrierebesessene Ehefrau von Gustav. Die Journalistin Klara ist taff, selbstbewusst und zu hundert Prozent in der Gegenwart. Ihr sprödes Charisma überstrahlt jede einzelne Paillette ihrer üppigen Kostüme (Bühne und Kostüm: Elisabeth Weiß). Ihre Mitarbeiterin Anna Rausch als Stanka Sto füllt die Rolle der MeToo-Journalistin mit Stock im Hintern ebenfalls nahtlos aus. Tim Breyvogel in der Doppelrolle als semidebiler Rap-Trap-Produzent Shantez und Krisen-Profi Kahn ist ein Angriff auf Augen und Lachmuskeln. Unverwechselbar geschmeidig jongliert er mit Wortwitz und Situationskomik, trifft jeden Ton und Satz, jede Pause und Übertreibung wie im Opiumschlaf. Sandy Lopičić, Maria Petrova und deeLinde (Ersatz mit nur einer Probe für Anna Tropper!) liefern nicht nur die Musik als Live-Band, sie dürfen auch auf einer liebevoll inszenierten Meta-Ebene ihr eigenes Komiktalent zum Besten geben.

Kritik: Slippery Slope, Schauspielhaus Graz

Anna Rausch, Luiza Monteiro, Sarah Sophia Meyer, Tim Breyvogel. (Credit: Lex Karelly)

Verpasste Gelegenheit

"Slippery Slope" kommt auf den ersten Blick wie ein Standard-Musical daher. Es wird mehr gesungen als gesprochen, die Kostüme sind atemberaubend schillernd, die Handlung flach und Nebensache. Musik, Tanz und Slapstick sollen im Vordergrund stehen und tun das auch. Es ist aber eben nur "almost a Musical" – es gibt schon noch eine Intention dahinter. Die Zuschauer:innen sollen mit Humor und Witz eingelullt und aufs Eis geführt werden, um in ihrer Wohlfühlzone auszurutschen. Leider geht die Rechnung nicht ganz auf. Das Stück kommt teilweise daher wie ein Stream auf TikTok – eine Empörung nach der anderen wird inszeniert, doch beim Hinsehen vergisst man bereits, worum es eigentlich geht. Leider wurde auch die Gelegenheit versäumt, für ein Pflichtattribut eines Musicals zu sorgen: den Ohrwurm. Die Vorstellung, dass die Zuschauer:innen mit einem geträllerten „Patriarchy is a dangerous Bitch“ das ehrwürdige Schauspielhaus verlassen, ist nur zu verlockend. Doch die traumhafte Leistung der Schauspieler:innen, die singen, tanzen und mit Charisma glänzen, tröstet darüber hinweg.
Kritik: Slippery Slope, Schauspielhaus Graz

Sandy Lopičić, Tim Breyvogel. (Credit: Lex Karelly)

Slippery Slope im Schauspielhaus Graz

Slippery Slope Fast ein Musical von Yael Ronen und Shlomi Shaban mit Musik von Shlomi Shaban, Yaniv Fridel und Ofer Shabi, zusätzliche Texte von Itai Reicher und Riah Knight Aus dem Englischen von Irina Szodruch Besetzung & Team Gustav: Željko Marović Sky: Luiza Monteiro Klara: Sarah Sophia Meyer Stanka: Anna Rausch Shantez & Kahn: Tim Breyvogel Live-Band: Sandy Lopičić, Maria Petrova, Anna Tropper-Lener Regie: Felix Hafner Musikalische Leitung: Sandy Lopičić Bühne & Kostüme: Elisabeth Weiß Choreographie: Vasna Aguilar Dramaturgie: Herbert Graf Licht: Thomas Bernhardt in englischer und deutscher Sprache mit wechselseitigen Übertiteln