Die Poesie des Alltags im Angesicht eines Verschwindens

Kritik: Romeo & ?, aXe Graz

Text: Robert Goessl - 08.10.2025

Rubrik: Theater
"Romeo & ?" von aXe Graz

Robert Lepenik, Christian Ruck. (Fotocredit: Ulrike Rauch)

Die neue Produktion von aXe Graz führt das Publikum tief hinab – in den Keller des Theaterhauses Graz, wo Sandboden, behauene Steinwände und gedämpftes Licht ein morbides, zugleich faszinierendes Ambiente schaffen.

Schon der Weg dorthin ist Teil der Inszenierung: Bevor man den Keller betritt, durchschreitet man einen Hof, in dem himmelblaue Objekte, teils kopfüber aufgehängt, durch die Luft zu schweben scheinen. Sie wirken wie fragile Erinnerungsstücke oder Gedankenfetzen, die sich dem Griff der Schwerkraft entziehen. Durch sie hindurch steigt man über eine Falltür in die Tiefe – in einen Raum zwischen Traum, Wohnung und Grabstätte.

In den dunklen Gängen, die zum Aufführungsraum führen, lassen sich einzelne Objekte erkennen, die fast wie Reliquien wirken. Alles scheint eine Bedeutung zu tragen, ohne sie sofort preiszugeben. Diese räumliche Dramaturgie schafft einen Rahmen, der das Publikum unmittelbar in die Zwischenwelt von Leben und Erinnerung hineinzieht.

"Romeo & ?" von aXe Graz

Fotocredit Peter Ulrich

Ein Dialog mit einer imaginären Frau

Im Aufführungsraum selbst entfaltet sich eine intime, beinahe häusliche Atmosphäre. Robert Lepenik spielt, leicht verhüllt durch ein transparentes Tuch, auf seiner Gitarre. Seine Musik ist sanft, rhythmisch und wirkt wie ein pulsierender Herzschlag, der die Szenen trägt. Das Licht bleibt gedämpft, der Raum eng – man sitzt dicht aneinander, und gerade dadurch entsteht eine dichte, beinahe tröstliche Nähe.

"Romeo & ?" von aXe Graz

Christian Ruck (Fotocredit Peter Ulrich)

Das plötzliche Verschwinden aus den Gedanken bei einer Berührung

Christian Ruck steht als Romeo im Mittelpunkt dieses Ein-Personen-Stücks. Doch er ist nicht allein: Er spricht mit Julia, seiner verstorbenen Frau – oder vielmehr mit seiner Vorstellung von ihr. Das Publikum hört Julias Worte nicht, aber Ruck lässt sie in seinen Reaktionen lebendig werden. Das Gespräch wirkt zunächst alltäglich: Es geht um Einkäufe, kleine Gewohnheiten, die Routine eines gemeinsamen Lebens. Gerade in dieser Normalität entfaltet sich die Tragik – das Unfassbare des Verlusts, das sich in banalen Dialogen fortsetzt, als wäre nichts geschehen.

"Romeo & ?" von aXe Graz

Fotocredit: kuma

Die Rückkehr zur alltäglichen Vorstellung

Als Romeos Schachpartner Walter anruft, kippt die fragile Illusion. Romeo reagiert panisch, Walter versucht, ihn zu beruhigen – vergeblich. Die Realität dringt ein: Julia ist nicht mehr da. In seiner Verzweiflung wendet sich Romeo der Wand zu, hinterlässt dort Striche, als würde er zählen, wie oft sie schon verschwunden ist. Er beschwört die Nacht ihres Todes, erinnert sich an die Stille, an das Gefühl des endgültigen Verlusts – und doch hält er an der Vorstellung fest, Julia könne einfach wieder „einschalten“, wie er es nennt.

„Du hast gesagt: Psst! Hörst du nicht die Nachtigall? Und ich habe gesagt: Das ist nicht die Nachtigall, das ist unser alter Kühlschrank.“ – dieser eine Satz fasst die ganze Melancholie der Inszenierung zusammen: das Aufeinandertreffen von Romantik und Realität, von Leben und Tod, von Poesie und banaler Gegenwart. Als Julia in seiner Fantasie zurückkehrt, beruhigt sich Romeo. Er kocht, redet, lacht, als sei alles wie früher. Der Kellerraum verwandelt sich in einen inneren Zufluchtsort, in dem Erinnerung und Gegenwart ununterscheidbar werden.

"Romeo & ?" von aXe Graz

Fotocredit: kuma

Ein Kammerspiel in empathischer Atmosphäre

Peter Ulrich schafft in seiner Inszenierung ein Kleinod, das durch seine Authentizität besticht. Großen Anteil daran hat das sehr intensive, aber auch natürliche Spiel von Christian Ruck. Mitsamt der Atmosphäre der dezenten Gitarren-Musik von Robert Lepenik, die immer wieder das Stück unterbricht und so die Möglichkeit bietet, den besonderen Raum in sich aufzusaugen, entsteht eine eigenartige Magie, in der man sich in einem Traum wähnt und mit Romeo mitfühlt.

Mit feinem Gespür für Raum, Klang und Emotion erschafft aXe Graz ein poetisches Psychogramm der Liebe und des Verlusts. Das Spiel von Christian Ruck ist intensiv und zugleich zurückhaltend, getragen von einer zarten Musikalität und rhythmischen Sprache. Die Enge des Raumes verstärkt die Intimität, während Musik, Licht und die symbolisch aufgeladene Szenerie eine traumhafte, schwebende Stimmung erzeugen. Diese Inszenierung ist keine klassische Romeo-und-Julia-Nacherzählung, sondern eine leise, atmosphärische Studie über Erinnerung, Sehnsucht und den Versuch, loszulassen – ein Theaterabend, der im Kopf noch lange weiterklingt.

„Romeo & ?“ von aXe Graz im Keller des Theaterhauses

Autor/Regie: Peter Ulrich Konzept/Schauspiel: Christian Ruck Komposition/Musik: Robert Lepenik Termine:13.10. (Mo), 14.10. (Di), 23.10. (Do) jeweils 19:00 Vorreservierung aufgrund beschränkter Sitzplätze unter axe.graz@gmx.at Eintritt: freiwillige Spende