Auf der Suche nach Wohnstatt und Liebe

Kritik: Moskau, Tscherjomuschki, Oper Graz

Text: Martin Exner - 06.10.2025

Rubrik: Musik
Harald Schmidt, Corina Koller, Will Frost, Grazer Philharmoniker, Chor der Oper Graz

Harald Schmidt, Corina Koller, Will Frost, Grazer Philharmoniker, Chor der Oper Graz. (Fotocredit: Ingo Pertramer)

Schostakowitsch' herrliche groteske, wie auch melancholische Operette „Moskau, Tscherjomuschki“ auf der Bühne der Grazer Oper.

Dimitri Schostakowitsch befand sich in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts bereits früh auf dem Höhepunkt seiner Komponistenkarriere, seine Opern wurden landauf, landab gespielt, bis eine vernichtende – von Machthaber Josef Stalin angeordnete – Kritik in der Prawda über seine Lady Macbeth von Mzensk ihn dazu veranlasste, keine weiteren Werke für die Bühne mehr zu schreiben und sich auf die Symphonik zu konzentrieren. Es sollte fast ein Vierteljahrhundert vergehen, bis er sich umstimmen ließ: Stalins Nachfolger Nikita Chruschtschow, der in den frühen 50ern in großer Anzahl Plattenbausiedlungen in den Moskauer Vorstädten hochziehen ließ, beauftragte Schostakowitsch, darüber eine Operette zu schreiben – was dieser gerne annahm und gleich zu einer überzeichneten Satire ausformte. So entstand Moskau, Tscherjomuschki, ein geniales Werk, das nun an der Grazer Oper in konzertanter Form seine Erstaufführung erfuhr.

Mikhail Agrest und Grazer Philharmoniker

Mikhail Agrest und Grazer Philharmoniker. (Fotocredit: Ingo Pertramer)

Gegen Bürokratismuswahnsinn und staatliche Propagandaverliebtheit

Mit seinen Librettisten Vladimir Maas und Michail Tscherwinski erschuf er – ganz entgegen der erwarteten Kulturpropaganda – ein bitterböses Stück, das vor Bürokratismuswahnsinn, Korruption und staatlicher Propagandaverliebtheit nur so strotzt. Drei junge Paare sind mehr oder weniger verzweifelt auf Wohnungssuche, geben die Hoffnung nie auf, und dennoch benötigt es schlussendlich einen magischen Garten, in dem ein Springbrunnen staatliche Verordnungen aushebelt und eine Zauberbank jedem die Wahrheit entlockt, bis das Happy End gefeiert werden kann.

Dazwischen Schostakowitschs großartige Musik! Genial verbindet er seine ihm eigene, uns auch aus seinen Symphonien vertraute Tonsprache mit allerhand Zitaten, die nicht nur die russische Musik Tschaikowskys oder Glinkas, sondern auch die Operettenseligkeit von Strauß und Lehár und das Bissige von Offenbach einschließen. In seine manchmal kräftig tönende, manchmal melancholische Musik bindet er Walzer, Polka, Volkslieder, aber auch Jazziges ein, dass es nur so ein Vergnügen ist! Ein Propagandalied (sehr gut vorbereitet der Chor der Grazer Oper) gerät durch Übersteigerung ins Lächerliche, musikalische groteske Szenen wechseln sich mit filmmusikartigen Passagen ab und machen deutlich, mit welcher Lust an Ironie und Parodie Schostakowitsch hier gearbeitet hat. Der Intendant, Ulrich Lenz, hat die konzertante Aufführung in der Grazer Oper selbst szenisch eingerichtet; wenige Utensilien reichen aus, um das ohnehin explizite Stück sprechen zu lassen.

Ted Black, Sofia Vinnik und Ivan Oreščanin

Ted Black, Sofia Vinnik und Ivan Oreščanin. (Fotocredit: Ingo Pertramer)

Musikalische Punktlandung

Musiziert wird hinreißend: Dirigent Mikhail Agrest hat die bestens disponierten Grazer Philharmoniker im Griff und weiß, die dynamischen Wechsel im Stück zu nützen, um die Aufführung nie ins Zu-Groteske oder Zu-Melancholische abgleiten zu lassen. Sofia Vinnik und Ivan Oreščanin harmonieren als Liebespaar Mascha und Sascha, Katharina Melnikova gibt stimmstark eine hoffnungsvolle Lidotschka, Ted Black mit präzisem Tenor den Sergei, Will Froststimmlich wie mimisch souverän den Oberbürokraten Fjodor Drebednjow. Aus diesem guten – und auch bestens Russisch deklamierenden – Ensemble ragen aber noch zwei heraus: Nikita Ivasechko, der die anderen und das Publikum mit einem vollen, kernigen Bariton nicht nur auf eine abenteuerliche Autoreise durch Moskau mitnimmt, und Sopranistin Corina Koller, die in einer Doppelrolle nicht nur Witz und Charme versprüht, sondern auch stimmlich glänzt.

Harald Schmidt, Corina Koller, Will Frost, Mikahail Agrest, Katharina Melnikova

Harald Schmidt, Corina Koller, Will Frost, Mikahail Agrest, Katharina Melnikova. (Fotocredit: Ingo Pertramer)

Showmaster als Hausmeister

Zusammengehalten wird die Geschichte durch den angekündigten Star des Abends: Moderator, Schauspieler und Entertainer Harald Schmidt, der als hinterhältiger Hausmeister Barabaschkin nicht nur die Fäden zieht, sondern auch launig durch das Werk führt. Auch wenn nicht jeder Witz passgenau sitzt, seine Ironie, seine gescheiten Einwürfe als Gegenwartsbezug und auch seine offenbare Bereitschaft, sich ins Ensemble einzufügen, machen seinen Auftritt zum Genuss.

Mit dieser sehr gelungenen Aufführung ist der Grazer Oper wieder einmal ein kurzweiliger Abend gelungen, mit dem sie zeigen kann, dass konzertante Aufführungen bisweilen durchaus sinnvoll sind. Einziger Nachteil: Es gibt nur noch eine weitere Aufführung am 9. Oktober, deren Besuch an dieser Stelle ausdrücklich empfohlen wird!