Tanzbares Utopia

Kritik: Mia.-Konzert, Dom im Berg

Text: Nathalie Resch - 02.03.2023

Rubrik: Musik

Credits: Robert Szeberényi

Mia. gastierte am 25.02.2023 im ausverkauften Dom im Berg in Graz. Nathalie Resch war dabei.

Die Berliner Elektropopper von Mia. – vor allem ihre Casting-Show-affine Lead-Sängerin Mieze Katz – haben mittlerweile mehrere Zyklen der Kommerzialisierung durchlaufen. Besonders augenfällig wird das im Dom im Berg – dem ersten Graz-Besuch der Band seit 2009, by the way – bei der Interpretation des ursprünglich punkigen und schneidenden Songs „Kreisel“: in seiner aktualisierten Form groovt er jetzt dahin, ist gefällig, den kernigen Rhythmus und das Rotzige hat er jedoch verloren. Routiniert sendet die Band, die mit „Limbo“ ihr mittlerweile siebtes Album im Gepäck hat, verschiedene Gratifikationssignale an das „mitgewachsene“ Publikum mit Altersdurchschnitt 35+ aus: eine Regenbogenfahne zum wummernden Beat da, ein überdimensionaler „Hoffnungs“-Pullover zu nachdenklichen Songzeilen dort, eine Gruppe von Kindern auf der Bühne …
Und doch wirkt es glaubwürdig, wenn die gesprächige Frontfrau Mieze vom Publikum angesichts des apokalyptisch aufgeladenen Krisenfuriosos unserer Tage utopisches Denken einfordert. Die Band ist mit sich, ihren „Monstern“ und Sinnkrisen im Reinen, ist in der Lage, ihre Verletzungen (symbolisch eingefangen durch die leuchtenden Krücken des am Knie lädierten Bandmitglieds Bob Schütze) und ihre Lebenserfahrung – „uns gibt es seit 26 Jahren!“ – wohltuend unzynisch in eine hochgradig tanzbare und energetische Live-Performance zu konvertieren und in neuen Lyrics wie im „Sorgenfalter“ oder „Mauerpark“ einzufangen. Vielleicht ist es genau das Antizyklische, das die Leute im Dom im Berg, von denen viele nicht nur mit den täglichen Atomkriegs- und Klimahorrorschlagzeilen konfrontiert sind, sondern auch mit der banalen Frage, wer am Abend auf die Kinder aufpasst, damit man in ein Konzert gehen kann, gerade brauchen. Vielleicht sind solche in Glitzerpop gehüllten Utopien im Kleinen das wahre Große.

Credits: Robert Szeberényi