Low Cost, High Impact bei La Strada in Reininghaus
Kritik: Low Cost Paradise, Cirque Pardi!
Text: Sigrun Karre - 29.07.2025
Rubrik: Theater
Keine Nummernrevue, kein Hochglanzzirkus: „Low Cost Paradise“ von Cirque Pardi! ist ein poetisch-anarchischer Abend voller Witz, Musik und Haltung – live im nostalgischen Zelt im Reininghauspark beim La-Strada-Festival. Wer nicht hingeht, verpasst wirklich was.
Ein Zirkuszelt beim Festival für zeitgenössischen Zirkus in Graz? Logisch. Doch was Cirque Pardi! im Reininghauspark eine La Strada-Woche lang aufbauen ist mehr als eine Manege: Spätestens, wenn man das nostalgische Chapiteau betritt, begibt man sich auf eine Reise von gefühlt 100 Jahren rückwärts in der Zeitrechnung. Aber ganz ohne Kitsch oder Pathos, dafür gibt’s Poesie ohne Zuckerguss, mit ganz viel charmantem Zwinkern.
Die Bühne knarzt, die Technik zickt – aber nicht aus Versehen, sondern aus Überzeugung. Das Zelt wirkt, als hätte es seine besten Jahre mit Absicht hinter sich gelassen. Ein Eindruck, der sich durchzieht: Auf Hochglanz wird verzichtet. Stattdessen gibt es traditionelle Zirkus-Disziplinen neu interpretiert: Rollschuh-Artistik, steile Drahtseilakte, absurder Slapstick und Trapezkünste – alles in einem ebenso intimen wie eigenwilligen Rahmen. Die Artist:innen scheinen nicht gegen die Schwerkraft zu kämpfen, sondern sie leise zu unterlaufen. Als Publikum sitzt man so nah dran, dass Mitfiebern zur körperlichen Erfahrung wird – und man sich mit den Artist:innen beinahe unwillkürlich verbündet.
„Low Cost Paradise“ heißt das Programm. Und obwohl – oder gerade weil? – der Titel nach Urlaubstristesse vom Discounter klingt, steckt darin mehr Haltung als Budget: eine Revue der Überforderung, ein Wanderzirkus mit Faible für Bühnenvernebelung und Zukunftsmut. Der Abend ist anarchisch leichtfüßig, poetisch unprätentiös – und nebenbei ganz unangestrengt politisch.

Fotocredit: Nikola Milatovic
Dieser Zirkus ist eine Band
Die Artist:innen wirken wie eine formidable Band im Hauptberuf, die nebenbei noch viele andere Sachen kann: Wer gerade nicht am Trapez hängt, bedient die Trommel, wer nicht Klavier spielt, springt, balanciert oder stolpert in drei Gitarren und macht Jonglage daraus. Wenn niemand tanzt, gibt’s Clownerie und Hebefiguren.
Die Inszenierung wirkt wie ein einziger fließender Track: 90 Minuten lang gehen Szenen so nahtlos ineinander über, als wären sie improvisiert, geträumt oder nebenbei passiert. Kein Anfang, kein Ende, nur Übergänge wie in einer gut kuratierten Playlist.
Diese internationale Truppe lebt ein Bühnen-Miteinander, das erfahrbar macht, wie gut und aufregend es sich anfühlt, wenn niemand dauernd im Mittelpunkt stehen muss. Dieser Zirkus sucht nicht die große Erzählung oder die akrobatische Perfektion, sondern sammelt Momente, die sich zu etwas Größerem addieren. Zu einem Gefühl vielleicht, einer Utopie mit Wackelkontakt.

Fotocredit: Nikola Milatovic
„I'm tired of fucking romanticism“
Dieser beiläufige Bühnenkommentar könnte auch als Untertitel des Abends herhalten – irgendwo zwischen Konfettiregen und Windmaschine, zwischen Anarchie und Ironie. Cirque Pardi! verweigert sich dem Erbaulichen, dem Effektvollen, dem bloß Gefälligen. Der Abend ist jedoch keine radikale Zirkusrevolte, sondern eher eine leise Demontage liebgewonnener Illusionen, die aus dem zeitgenössischen Spiel mit alten Formen und Ästhetiken resultiert.
Trapez trifft auf Clownerie, E-Gitarre auf Jonglage, Slapstick auf das Erschöpfungstempo des Alltags. Die Überforderung im weiblichen Multitasking-Modus wird in einer furiosen Performance verdichtet, die in Zeitraffer tanzt, trägt, telefoniert, rennt, hantiert ... – und schließlich taumelt. Einer der Höhepunkte des Abends.

Fotocredit: Nikola Milatovic
Dynamisch - aber keine schnelle Zirkusnummer
Das Publikum sitzt auf lehnenlosen Bänken, Retro-Charme pur – ein bisschen Komfortverlust gehört zur Stiltreue. Untermalt vom Rascheln ihrer Chipssackerln kommentieren zwei komplett überdrehte Damen das Geschehen wie aus einem alten Varietéfilm. Ein Clown rebelliert gegen Kündigung und System. Eine Art Aktivist mit Dreadlocks streift durch die Manege, mahnt die Menschen zur Umkehr und verliert die „kulturell angeeignete“ Mähne. Es ist zum Lachen, aber nicht zum Ablachen. Alles ist bedeutungsvoll, nichts bedeutungsschwer. Reibung, die Tiefe erzeugt, aber nicht runterzieht. Zwischen Leichtsinn und Ernst, Slapstick und Stille: Diese Inszenierung spielt auf der ganzen Klaviatur – und trifft jeden Ton.
Pardi! (ins Deutsche annähernd übersetzbar mit „Aber sicher!“) – der Name ist Programm. Eine Hommage an das Unbekümmerte, das Verspielte, das Freie und die utopische Hoffnung. Aber eben nicht naiv, sondern wach und charmant derangiert.
Der letzte Moment gehört keiner Pointe, sondern einem leisen Wunsch – für etwas, das größer ist als das Zelt. Wer bis dahin noch saß, steht spätestens jetzt. Noch bis 2. August im Reininghauspark. Unbedingt hingehen!

Fotocredit: Nikola Milatovic