Schmetterlinge im Bauch inklusive in einem bezaubernden Ambiente

Kritik: Leck mich am Arsch, amore mio!, Schauspielhaus Graz in Kooperation mit der Theaterakademie LebensGroß

Text: Robert Goessl - 14.11.2025

Rubrik: Theater
„Leck mich am Arsch, amore mio!“ vom Schauspielhaus Graz in Kooperation mit der Theaterakademie LebensGroß

Das Tanzcafé "Sekt & Sehnsucht" (Fotocredit Lex Karelly)

Zur Eröffnung des inklusiven Tanz-, Kultur- und Theaterfestivals InTaKT lädt das Schauspielhaus Graz in Kooperation mit der Theaterakademie LebensGroß ins Tanzcafé „Sekt & Sehnsucht“ in den Schauraum, wo die Produktion „Leck mich am Arsch, amore mio!“ unter der Regie von Anja M. Wohlfahrt in Szene gesetzt wird. Die Inszenierung zum Thema „Liebe & Sexualität“ ist als „Relaxed Performance“ konzipiert – man kann also den Raum jederzeit verlassen und auch wieder betreten. Der gesprochene Text wird auch in Übertiteln in einfacher Sprache gezeigt.

Schon beim Betreten wirkt das ganze Ambiente sehr gemütlich. Die Bühne von Kathrin Eingang ist einem Tanzcafé mit einer Bar und Tischen davor nachempfunden und mit vielen liebevollen Details gestaltet. Man kann sowohl im Zuschauerraum als auch auf der Bühne an einem Tisch Platz nehmen, wenn man sich inmitten des Geschehens begeben möchte – was durchaus zu empfehlen ist. Das Ambiente lädt dazu ein, die Bar und ihre Umgebung hin zur Speise- und Getränkekarte näher zu betrachten. Der Ober, gespielt von Oliver Chomik, wirkt wie ein ganz netter Kerl, vielleicht etwas schusslig, aber man gewinnt sofort Vertrauen in seine sympathische Art. Er stellt dem Publikum die Musikerin und Sängerin des Tanzcafes Foxy Fox (Sarah Sophia Meyer) vor, die postmodern stylish am Keyboard Musik aus der Konserve, aber auch mit zum Ambiente passenden eingängigen Pop-Schlagern und Melodien mit dezenter Ohrwurmqualität von Grilli Pollheimer zum Besten geben darf. Sie ist so etwas wie der etwas freche Gegenpart zum braven Ober.
„Leck mich am Arsch, amore mio!“ vom Schauspielhaus Graz in Kooperation mit der Theaterakademie LebensGroß

Der Ober (Oliver Chomik) und der Koch (Tobias Spiegl) bei der Arbeit (Fotocredit Lex Karelly)

Expertinnengespräche in entspannter Atmosphäre über das Liebensleben von Tieren und Menschen

An der Bar, zunächst versteckt hinter dem Standard, diesen konzentriert lesend, entdeckt der Ober die österreichische Sex-Päpstin Gerti Senger (Robert Nemes als souveräne Expertin), der er Tipps entlocken möchte, während der Koch (Tobias Spiegl hinreißend komisch und melancholisch zugleich) in seiner Küche rauchend mit allerlei Gemüse und Nudeln hantiert. Frau Senger erzählt von ihrem neuen Projekt, das sich mit Liebe über den Tod hinaus beschäftigt. An einem Tisch im Café sitzt die weitere Expertin Jay für Polyamorie und Polygamie, elegant und selbstbewusst gespielt von Helena Käfer, vor ihrem Laptop und lädt die Leute im Café zu kurzen Gesprächen zu Recherchezwecken ein, die sie aufnimmt (keine Angst – nur die Mitspielenden werden befragt). Aber auch über das Liebesleben von Nilpferden, Seidenlaubenvögeln und Spinnen wird gesprochen, und dabei werden Analogien zum menschlichen und männlichen Verhalten gezogen.
„Leck mich am Arsch, amore mio!“ vom Schauspielhaus Graz in Kooperation mit der Theaterakademie LebensGroß

Helena Käfer als Expertin Jay im Gespräch mit Foxy Fox (Sarah Sophia Meyer) (Fotocredit Lex Karelly)

Ein Stammtisch, bei dem ehrlich und einfühlsam zur Sache geht

Eine Gruppe von Frauen stürmt ins Lokal und nimmt an ihrem Stammtisch Platz, an dem sich ein Gespräch über Prosecco, Männer und den besten Freund Edwin, einen Vibrator, entspinnt. Die drei Schauspieler:innen Petra Aicher-Pichler, Karin Hochreiter und Susa Rauch vom Spielclub des Schauspielhauses wirken dabei sehr authentisch, und ihre Gesprächsthemen sind aus ihrem Leben gegriffen, sei es über Fahrradunfälle bis hin zum Unsichtbarwerden von Frauen über fünfzig in der Öffentlichkeit. Aber auch die schwierige Entscheidung, ein Kind zu bekommen, wird thematisiert, denn als Frau ist man immer einfach Mutter, als Mann und Vater meist aber der Superheld, wenn man mal Zeit für das Kind hat. Zur Entspannung gibt es seitlich neben der Bühne auch eine „Liebesbank“, auf die sich immer wieder zwei Akteur:innen in unterschiedlichen Konstellationen zurückziehen, um ein paar platonische, romantische und entspannende Minuten zu genießen.
„Leck mich am Arsch, amore mio!“ vom Schauspielhaus Graz in Kooperation mit der Theaterakademie LebensGroß

Der Ober (Oliver Chomik) und der Koch (Tobias Spiegl) und die Expertin Jay (Helena Käfer) mit Stammgästin (Susa Rauch) auf der Liebesbank (Fotocredit Lex Karelly)

Von Briefen mit Liebes- und Sexfantasien bis zum echten Leben

Im Weiteren geht es äußerst abwechslungsreich zur Sache: Es gibt Zeitsprünge, bei denen an der Uhr gedreht wird. Es werden Briefe mit romantischen bis verrückten Liebes- und Sexfantasien vorgelesen, in denen alles Mögliche und Unmögliche beschrieben wird, von einfachen Sehnsüchten bis hin zu Ideen, die einem Fantasy-Film entsprungen sein könnten, immer ohne Aggressionen, aber mit viel Einfühlungsvermögen und noch mehr Zärtlichkeit. Beim „philosophischen Kuchen-Dreieck“ mit spritzender Sahne werden ehrliche Gedanken ausgetauscht, ebenso wie bei der „Offenen Bühne“, wo sensibel und subtil über eigene Lebenserfahrungen berichtet wird. Über alle möglichen Paarkonstellationen wird dabei ganz selbstverständlich gesprochen, bis hin zu einer KI-Liebschaft gegen die Einsamkeit. Aber es wird auch die Gewalt an Frauen bis hin zu Femiziden und das peinliche politische Hickhack zu „Nur ja heißt ja“ thematisiert.
„Leck mich am Arsch, amore mio!“ vom Schauspielhaus Graz in Kooperation mit der Theaterakademie LebensGroß

Der Stammtisch (Susa Rauch, Petra Aicher-Pichler und Karin Hochreiter) mit unterwürfigen Ober (Oliver Chomik) (Fotocredit Lex Karelly)

Ein zauberhafter Abend mit viel Fantasie und Charme

Das Team rund um Anja M. Wohlfahrt verzaubert in diesen 70 Minuten des Abends. Die herzliche Atmosphäre zeigt Gefühle von Liebe und der Sehnsucht danach, aber auch von Angst, Unsicherheit und Trauer. Man hat das Gefühl, bei einem ehrlichen Abend dabei zu sein, geprägt von gegenseitigem Verständnis und gegenseitiger Aufmerksamkeit und Verbundenheit bei all den gemachten Geständnissen. Es ist vor allem die Ruhe und Selbstverständlichkeit, in der das Ganze abläuft, die den Charme der Inszenierung in diesem tollen Ambiente ausmachen und diese so zu einem abwechslungsreichen Abend voller Zärtlichkeit werden lassen, der nie oberflächlich wird. Trotz der Vielzahl der angesprochenen, mitunter auch vermeintlich Tabu brechenden Themen wirkt die Inszenierung leicht, respektvoll und unkompliziert, so wie man es sich bei diesem Thema auch in der Realität wünschen würde.
„Leck mich am Arsch, amore mio!“ vom Schauspielhaus Graz in Kooperation mit der Theaterakademie LebensGroß

Das Café tanzt (Fotocredit Lex Karelly)

„Leck mich am Arsch, amore mio!“ vom Schauspielhaus Graz in Kooperation mit der Theaterakademie LebensGroß im Schauraum

Darsteller:innen: Helena Käfer, Robert Nemes, Tobias Spiegl (Theaterakademie LebensGroß) Petra Aicher-Pichler, Karin Hochreiter, Susa Rauch (Spielclub des Schauspielhauses) Oliver Chomik, Sarah Sophia Meyer (Ensemble Schauspielhaus) Regie: Anja Michaela Wohlfahrt Bühne: Kathrin Eingang Kostüme: Magdalena Hilpold Musik: Grilli Pollheimer Theaterpädagogische Mitarbeit: Katharina Grilj InklusiveBegleitung LebensGroß: Tilla Rath Dramaturgie: Emily Richards Produktionsleitung Theaterakademie LebensGroß: Lina Hölscher Termine: 13.11. (Do), 21.11. (Do) jeweils 18:00 21.11. (Fr), 19.12. (Fr) 10:30 und 18:00 22.11. (Sa), 20.12. (Sa) jeweils 15:00
„Leck mich am Arsch, amore mio!“ vom Schauspielhaus Graz in Kooperation mit der Theaterakademie LebensGroß

Ein Tisch im Tanzcafé "Sekt & Sehnsucht" (Fotocredit kuma)