Eine Anleitung zum beiläufigen Ungehorsam als Rebellion hin zur Langsamkeit
Kritik: Kleines Sabotage-Handbuch, Theater am Ortweinplatz
Text: Robert Goessl - 04.10.2025
Rubrik: Theater
Gerüchten zufolge stammen die Sabotage-Tipps aus einem CIA-Handbuch als Anleitung zum zivilen Ungehorsam in Deutschland im 2. Weltkrieg. Andere meinen jedoch, dass der Ursprung in der DDR liegt, und der Staat so unterminiert werden sollte. Fakt ist, dass wir alle müde sind. Und überfordert. Und uns der Zwang zur ständigen Selbstoptimierung langsam in den Wahnsinn treibt. Oder ist da noch etwas anderes, unmerkliches, dass uns stresst?
Ein Kartenhaus steht mitten auf der Bühne. Dahinter eine Wand. Zwei lange Greifarme kommen von der Seite und nähern sich diesem langsam. Eine Stimme aus dem Off stellt die Intension des Stückes vor. Tipps aus dem kleinen Sabotage-Handbuch sollten demonstriert werden. Diese sollen so einfach wie möglich sein und auch kaum Aufwand erfordern. Schließlich hat man auch als Saboteur: in im Alltag genug zu tun. Es geht auch nicht darum, das System gleich zur stürzen, aber es zumindest ein wenig zu stören. Und vor allem soll man sich dabei auf keinen Fall stressen!
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Fotocredit: Clemens Nestroy
Eine Überraschung zu Anfang mit symbolhafter Darstellung
Statt der Greifarme bringt eine nach vorne stürzendem Teil der Wand das Kartenhaus nicht nur zu Fall, sie begräbt es unter sich, und ein lebensgroßer Dummie wird sichtbar. Offensichtlich ein Erwachsener, ein Beispiel für einen Agenten des Systems, der aufgrund seiner Erschöpfung durch sein Aufgehen in seiner Arbeit kurz seine Ruhe haben will. Auch bei ihm kommen die Greifarme zum Einsatz und verdrehen seinen Hut. Links und rechts neben ihm schauen leicht verdeckt die maskierten Saboteuer: innen hervor. Was wie ein Streich wirkt, wird sehr sachlich kommentiert und beschrieben. Dabei wird auch immer wieder betont, dass man nicht massiv eingreifen will, sondern nur ein bisschen lästig sein, mit schleichenden Angriffen aus dem Hinterhalt.
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Fotocredit: Clemens Nestroy
Die Schule als erstes Testlabor
Und plötzlich wird eine weitere Wand entfernt und ein nicht allzu großer nach vorne offener Raum in der Mitte der Bühne wird sichtbar. Die Tapete an den Wänden dieses Testraums lässt sich am ehesten in den tiefen 70-er Jahren verorten. Eine Stimme aus dem Off sagt uns, dass nun Beispiele gezeigt werden, wie man der Schule zur Entschleunigung beitragen kann. Es sind einfache Dinge, wie langsamer als nötig arbeiten, dumm stellen, ständig nachfragen und Dinge unnötig zu verkomplizieren. Als Lehrer:innen müssen wieder die geschichtslosen Dummies herhalten, die unauffällig belästigt werden, auch immer wieder mit den allgegenwärtigen Greifarmen. Um den Raum herrscht zwar geschäftigen Treiben, aber dabei geht es betont langsam zu. Während aus dem Off die Anleitungen kommen, dringen die Saboteuer: innen durch Falltüren oder mit Greifarmen ein, und verändern die Situation durch kleine Eingriffe. Es wird mit Papierkugeln geworfen und heftig diskutiert. Dabei scheint orange die Farbe der Sabotage sein, denn die meisten Dinge, die hinzugefügt oder ausgetauscht werden, sind in dieser Farbe gehalten.
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Fotocredit: Clemens Nestroy
Das eigene Heim als perfekter Sabotage-Übungsplatz
Es folgen Beispiele in der eignen Wohnung, die das optimale Lernlabor für Sabotage ist, da den Sabotierenden die dort Abläufe bekannt sind. Dabei wird auch sicherheitshalber davor gewarnt, sich nicht von den gewohnten Verhältnissen einlullen zu lassen oder aus falscher Nostalgie vor Aktionen zurückzuschrecken. Konkret wird vorgeschlagen, Bücher zu hinterlegen, die die Menschen, die sie lesen, dazu zwingen, das bisher geglaubte zu hinterfragen und im Zweifelsfall mit kleinen Aktionen für Ablenkung zu sorgen. Dabei bringen die Saboteur: innen den Raum in einen geisterhaften Zustand, mit einer ein- und ausgehenden Lampe, einem wie von selbst umfallendem Weinglas und einer fliegenden Fliegenklatsche. Es wird also neben dem ungewohnten Lesestoff auch noch für weitere beunruhigende Momente gesorgt. Außerdem wird empfohlen, die Eltern immer möglichst früh aufzuwecken, für Lärm zu sorgen und immer wieder ein wenig zu spät oder ein wenig zu langsam zu sein. Oder die Eltern bei der romantischen Zweisamkeit zu stören. Denn je kürzer die Nächte sind, desto langsamer werde die Tage. Das Ganze wird natürlich auch im Testlabor mit Dummies und Greifzangen konkret demonstriert. Die gezeigten Situationen wirken weniger behäbig als zuvor und sind meistens auch slapstickartig komisch, vor allem weil es dabei immer um eine beispielhafte Darstellung geht, die immer wieder etwas absurd wirkt.
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Fotocredit: Clemens Nestroy
Eine kleine Ablenkung zum Zeitvertreib und das Befüllen von Lücken zur Motivation
Zur Abwechslung für das Publikum gibt es in kurzen Pausen im „Fernseher“, einer Lücke in der hinteren Wand, absurde Szenen eines Verkaufsgesprächs zum Erwerben eines Holzstocks in der passenden Größe und passendem Gewicht zu sehen, wobei die Greifzangen die Akteur: innen sind. Zum besseren internationalen Verständnis läuft das Ganze auf Englisch ab. Unvermittelt ertappt man sich dabei beim Gedanken, vielleicht gerade jetzt das Objekt eine Sabotage zu sein, weil man sich so einfach durch das soeben gezeigte ablenken lässt. Vielleicht habe ich ja genau deswegen etwas anders auf der Bühne versäumt zu sehen. Es wird in weiterer Folge auch auf Lücken im Handbuch aufmerksam gemacht, deren Ausfüllen aufkommende Zweifel an der Sabotage beseitigen und die Motivation dazu steigern sollen. Da gibt es Sätze wie „Ich habe aufgehört meine Meinung zu sagen, weil _____“ oder „Mein _____ will von mir _____ aber ich will _____ weil ich _____ nicht leiden kann.“ Diese sind im übrigen auch im Foyer des Theaters angebracht, zum etwaigen Üben danach.
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Fotocredit: Clemens Nestroy
Das Benutzen und Besetzen von öffentlich zugänglichen Räumen zur Sabotage
Zum Schluss dient ein Gasthaus als Beispiel für Sabotage in öffentlichen Räumen. Dazu wird der Raum entsprechenden umgebaut, sodass eine neue Versuchsanordnung mit Tischen und Sesseln samt Speisekarten und anderen Attributen einer Gaststätte entsteht. Auf den Stühlen nehmen werden die Testdummies hingesetzt und den Schauspieler: innen bewegt. Zeitweise wähnt man sich in einer Slapstick-Komödie, auch wenn es nicht so rasant zugeht. Nach und nach werden Dinge ausgetauscht, wie Speisekarten, Zeitungen und Mahlzeiten. Zur besseren Kenntlichkeit sind die ausgetauschten Objekte orange eingefärbt. Es wird auch Besteck verbogen und das Interieur mit absurden Objekten versehen. So kommt bei den Gast-Dummies mehr und mehr Verwirrung auf. Viele der Anleitungen wiederholen sich, aber durch ständige Wiederholungen lernt man bekanntlich die Dinge besser. Ganz am Ende kommt dann auch der vermutlich beste Tipp als wirtschaftliche Sabotagemöglichkeit: Man soll ganz einfach möglichst viele Plätze möglichst lang besetzen und dabei möglichst wenig konsumieren und damit das Geschäftsmodell zu Fall bringen. Ganz zum Schluss erzählen die Schauspieler: innen noch persönliche Geschichten von Jugendlichen zwischen Scham, Mittelmäßigkeit und dem Wunsch die Gesellschaft zu verändern, die diese in ihr kleines Sagotage-Handbuch geschrieben haben.
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Fotocredit: Clemens Nestroy
Ein ästhetischer Gegenentwurf zur gängigen Form der medialen Darstellungen
Es ist die wunderbare Ästhetik einer Zeit, in der es noch langsamer zuging, die die Inszenierung prägt. So einfach alles auf den ersten Blick wirkt, so exzellent abgestimmt agieren die jungen Schauspieler: innen - mal perfide perfekt, mal ungeschickt, mal scheitert man auch. Die Saboteur:innen agieren gleich gekleidet und mit gleicher Perücke auch als gleichförmige Figuren sowie sie auch mit den gesichtslosen, identischen und austauschbaren Dummies die Laborsituationen geschickt erzeugen. Das Spiel wird so zu einem absurden Slapstick-Film, der wie eine 70-er-Jahre-Dokumention wirkt, bei der alles zu langsam, zu behäbig und zu uninspiriert gezeigt wirkt. Auf diese Weise wird diese Inszenierung, mit vielen komischen Momenten, zu einem absurden Lehrstück, zu einem bewussten Gegenentwurf zur üblichen Form der heutigen schnellen und zu Übertreibung neigenden medialen Unterhaltung.
„In jedem Beruf kann es von großem Nutzen sein, unausgeschlafen, unpünktlich, unkonzentriert oder ungenau zu agieren. Ziel ist es, durch die Sabotage auch andere in diese Zustände zu versetzen.“
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Fotocredit: Clemens Nestroy
„Kleines Sabotage-Handbuch von Simon Windisch und Ensemble im Theater am Ortweinplatz
Darsteller: innen: Eva Eklaude, Miriam Fuchs-Weikl, Emily Kreuzer, Felix Ostanek, Julia Pauritsch
Regie: Simon Windisch
Regie- und Produktionsassistenz: Carmen Schabler
Musik: Raphael Meinhart
Bühne und Ausstattung: Laura Kerschbaumsteiner
Bühne- und Ausstattungsassistenz: Constanze Rebhandl
Technik: Merlin Chesi-Nussbaumer
Produktionsassistenz: Valentina Erler
Termine:
30.09. (di), 03.10. (fr), 09.10. (do), 12.10. (so), 20.10. (mo) jeweils 19:30
02.10. (so), 07.10. (fr), 13.10. (mo), 16.10. (do), 18.10. (sa) jeweils 12:00
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