Absurdes Perpetuum stabile im Theater im Keller
Kritik: In meinem Haus, Günter Eichberger
Text: Sigrun Karre - 31.10.2025
Günter Eichbergers „In meinem Haus“ (Uraufführung: 29. Oktober, Theater im Keller Graz) ist absurdes Theater pur – sprachgetrieben, grotesk, mit morbidem Humor.
Ganz normal absurd, das alles. Ein Mann, eine Frau, eine Figur mit sprechendem Namen Sag. Drei Menschen in Warteposition, drei Akte – und kein nennenswerter Handlungsmoment. Autor Günter Eichberger und das Ensemble des Theaters im Keller zeigen, wie man eineinhalb Stunden lang auf einen Plot verzichten kann und dabei keine Sekunde langweilt. Denn in diesem Haus wohnt das Absurde selbst: Es redet, denkt, assoziiert, widerspricht sich – und hört nicht auf. Man wird von einer Textlawine überrollt, von Sprachschleifen und Gedankenspiralen, die sich endlos ineinander verschlingen. Den Dialog gibt es nur auf der formalen Ebene – als Pingpong zweier innerer Monologe, die sich nicht aufeinander beziehen, aber um dieselbe Situation kreisen.
Postmodernes Zaudern
Im ersten Teil warten Mann (Leo Weingerl) und Frau (Tamara Belic) aufeinander – und auf alles, was nie geschieht. Sie ergehen sich abwechselnd in Selbstgesprächen über Möglichkeiten, Verfehlungen und Misstrauen als All-in-Versicherung: „Man sollte sich nie etwas von anderen erwarten – auch nicht von sich. Man kann nur enttäuscht werden.“
Ihre Beziehung bleibt ein Gedankenkonstrukt: „So wie ich sie mir denke, kann sie nur sein, wenn sie abwesend ist.“ So klingt – bei aller Zuspitzung – unser aller postmodernes Zaudern und Prokrastinieren.
Bühnenbild und Sound (Alfred Haidacher) bleiben minimalistisch, die Kostüme (Eva Weutz) reduziert, ebenso die Technik (Ilias Mouaddib) – wie es sich fürs klassische absurde Theater gehört. Das ist kein Nachteil, denn hier spielt ohnehin die Sprache die Hauptrolle. Günter Eichberger inszeniert das Absurde als kontrollierte Explosion von Worten und wuchernden Assoziationen, durchzogen von oft morbidem Humor. Tamara Belic und Leo Weingerl spielen diese misanthropischen Archetypen mit der notwendigen Portion grotesker Grauslichkeit , die das Publikum gezielt zum "Fremdeln" bringt.
Warten mit Sag
Das Geschehen verlegt sich in die „Wartezimmer-Vorhölle“ einer Arztpraxis als metaphysische Zwischenwelt. Dort spricht nur einer: Sag – gespielt, quasi bewohnt von Alfred Haidacher, der in dieser Rolle glänzt. Mit leichter Hand, fast tänzelnd, führt er durch die Textflut, wechselt mühelos von der Rolle in die Meta-Ebene und singt zwischendurch tonsicher ein paar herrlich absurde Lieder. Angestrengt wirkt da nichts, sondern prickelnd durchlässig und absurd logisch. Ganz offensichtlich liegt dem Hausherren des TiK, der an diesem Abend auch Regie führt, diese Art von Text.
Günter Eichberger, dieser Sprachartist der Grazer Gruppe, verwandelt das Alltägliche in eine paranoide Tragikomödie mit tiefschwarzen Sprenkeln. Kafka meets Grazkunst meets Helge Schneider passt als Kurzbeschreibung nicht so schlecht: „Graz wird groß in Istanbul und Istanbul verschwindet in Graz.“
Günter Eichbergers Figuren sind wie Schrödingers Katze – gleichzeitig tot in Istanbul und lebendig in Graz, solange niemand beschließt, tatsächlich zu leben.
Das Stück mäandert durch diese geographisch-psychischen Räume, als hätten Beckett, Platon und ein überdrehter Grazer Philosoph gemeinsam Schwammerl konsumiert: Da gibt es – unschwer als metaphorische Gesellschaftskritik lesbar – Grazer Kugelmenschen in Kugelmobilen, „glückliche runde Ganzmenschen und versehrte Viertelmenschen jenseits der Mur“ – und das „Perpetuum stabile“ einer Welt, die endlos unbewegt bleibt. „Die Mur entspringt in mir“, proklamiert Sag, und das klingt nicht mehr ganz unrealistisch aus dem Mund eines Typen, der in Istanbul tot ist, aber in Graz auf seinen Arzttermin wartet, obwohl er findet: „Heilung ist was für Schwächlinge.“
Erfahrungsvorstellungen als Killerargumente
Im dritten Teil, wieder „im Haus“, kehren Mann und Frau zurück in ihre Endlosschleife in neuer Konstellation. Es ist eine Parabel über die entfremdete Geschlechter-Beziehung, die im Pendeln zwischen Angst und Faszination vorsichtshalber Totschlagreflex und Mordfantasien in petto hat. Statt zu leben und Erfahrungen zu machen, verweilt man in dem, was Günther Eichbergers Figuren „Erfahrungsvorstellungen“ nennen: Vorstellungen vom Leben, die das Leben ersetzen – und greift sicherheitshalber zum Küchenmesser.
Als altgedienter Avantgardist aus dem Dunstkreis des Forum Stadtpark zeigt der Autor einmal mehr, dass er die Tradition des absurden Theaters nicht nur fortsetzt, sondern neu auflädt: Und das klingt keineswegs retro, sondern lebendig, sprachverspielt und nahezu jugendlich subversiv. Altersmilde kann man dem Ü60-jährigen Autor also eher nicht attestieren. Eine gelungene Versuchsanordnung, in der das Theater sich selbst seziert. Sehenswert!
