Mozarts Lieblingsoper mit viel Druck und Drama

Kritik: Idomeneo, Oper Graz

Text: Martin Exner - 29.09.2025

Rubrik: Musik
Anna Brull, Dmitry Ivanchey, Chor & Statisterie der Oper Graz

Anna Brull, Dmitry Ivanchey, Chor & Statisterie der Oper Graz. (Fotocredit: Oper Graz, Werner Kmetitsch)

Die Grazer Oper eröffnete ihre neue Spielzeit mit Mozarts „Idomeneo“ – seiner nach eigenem Bekunden Lieblingsoper und musikalisch eines seiner herausragenden Werke. Leider gerieten diesmal weder die musikalische noch die szenische Umsetzung gänzlich zufriedenstellend.

„Idomeneo“ gilt bei Musikkennern als Schwellenwerk zwischen seinen frühen und seinen reiferen Werken, ist aber doch noch viel mehr: Mozart zeigt sich als 24-Jähriger hier erstmals als herausragender Musikdramatiker, der die Bedeutung des Textes auf die Ebene der Musik hebt, die barocke Tradition der Opera seria durchbricht und sein Werk in Richtung der französischen Tragédie lyrique bringt. Unter dem Eindruck seiner Reise nach München, wo er das damals herausragende Mannheimer Orchester hörte, komponierte er eine progressive Musik, die in vielem weiter ging, als bis dahin gehört. Umso wichtiger ist bei einem solchen Meisterwerk die musikalische Umsetzung.
Anna Brull als Idamante & Marjukka Tepponen als Elettra

Anna Brull als Idamante & Marjukka Tepponen als Elettra. (Fotocredit: Oper Graz, Werner Kmetitsch)

Zwischen Musikalität und Dramatik

Das Grazer Opernhaus besitzt ein Orchester, das diesen Anforderungen gewachsen ist. Sein Klang ist zumeist ausgewogen, die Soli (Holzbläser und Horn) sitzen, das Continuo (zurückhaltend Emiliano Greizerstein am Hammerklavier, zupackend Bernhard Vogl am Cello) immer am Punkt. Dirigent Johannes Braun versuchte, ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen differenzierter Musikalität und packender Dramatik zu finden, landete aber leider zu oft bei Zweiterem. Richtig Sinn hatte dieser Zugang selbstverständlich beim eigentlichen Hauptdarsteller des Werkes, dem Chor. Die Szenen mit dem hervorragend studierten, klangschönen und (nach einigen Anfangsschwierigkeiten) auch präzise singenden Chor der Grazer Oper waren das musikalische Zentrum der Aufführung, die überbordende Dramatik fand hier einen dankbaren Abnehmer.

Leider aber fand sich dieses musikalische Glück bei den Solistinnen und Solisten nicht ein. Es wurde großteils mit viel Druck und selten differenziert gesungen, die (zugegeben besonders hier sehr heiklen) Koloraturen bereiteten hörbar Probleme. Dmitry Ivanchey bringt für den Idomeneo eine ansprechende Tenorstimme mit, der aber schlussendlich die Kraft für die Ausbrüche fehlt, Anna Brulls Mezzo kann dem Idamante nicht das Profil verleihen, das in der Rolle steckt, Marjukka Tepponen stattet die Elettra mit reichlich Forte und Dramatik aus, Ekaterina Solunya gibt der Illia (vielleicht auch regiebedingt) viel Kälte mit. Die Rolle des Oberpriesters ist derart zusammengestrichen, dass Jianwei Liu wenig Gelegenheit gegeben wird, sein schönes tenorales Stimmmaterial zu präsentieren, Daeho Kim orgelt seine Rolle als Orakel von der Hinterbühne mit profundem, klangschönem Bass mehr als beachtlich.

Marjukka Tepponen als Elettra, Chor & Statisterie der Oper Graz

Marjukka Tepponen als Elettra, Chor & Statisterie der Oper Graz. (Fotocredit: Oper Graz, Werner Kmetitsch)

Zwischen Ratlosigkeit und Glanz

Im „Idomeneo“ stecken zahlreiche Themen, die man als Regisseur ansprechen könnte. Selbstverständlich auch die griechische Tragödie um vier miteinander verschlungene Schicksale – sich allein auf diesen Aspekt zu konzentrieren, hat sich anscheinend der Regisseur der Grazer Produktion, Philipp Westerbarkei, vorgenommen. Dazu mussten auch einiges an Strichen (unter anderem das finale Ballett) und etliche Umstellungen im Werk vorgenommen werden – nicht wirklich zu dessen Vorteil. Zwar ist die Personenführung präzise, doch irrlichtern die Protagonistinnen und Protagonisten durchwegs als Verzweifelte durch den häufig eingesetzten Bühnennebel. Sein gekonnter Umgang mit dem Personal gerät ihm wiederum zum Vorteil, wenn der Chor auf der (von einem eindrucksvollen Monolithen beherrschten und von Sebastian Alphons ausgezeichnet beleuchteten) Bühne steht; diese zentralen Szenen des Werkes geraten dann doch zu den Höhepunkten des Abends. Dass Elettra am Ende zur Mörderin von Idomeneo wird, macht dann doch etwas ratlos und lässt das lieto fine „Scenda amor – steig herab, Liebe“ noch unglaubwürdiger erscheinen, als es ohnehin schon ist.

Dennoch: Die Musik des Komponistengenies, ein gut disponiertes Orchester und ein starker Chor geben dieser Aufführung ein paar Lichtblicke, die es auszukosten gilt.

Dmitry Ivanchey als Idomeneo, Jianwei Liu als Oberpriester, Chor der Oper Graz

Dmitry Ivanchey als Idomeneo, Jianwei Liu als Oberpriester, Chor der Oper Graz. (Fotocredit: Oper Graz, Werner Kmetitsch)

Wolfgang Amadeus Mozart: Idomeneo

Dramma per musica in drei Akten, KV 366 (1781), Libretto von Giambattista Varesco, In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Musikalische Leitung: Johannes Braun (Sep: 27, Okt: 2, 8, 10, 17, Nov: 23, 30) / Stefan Birnhuber (Okt: 19, 22, Nov: 1)

Inszenierung: Philipp Westerbarkei

Bühne & Kostüme: Tatjana Ivschina

Licht: Sebastian Alphons

Dramaturgie: Christin Hagemann

Chor: Johannes Köhler

Idomeneo: Dmitry Ivanchey

Idamante: Anna Brull (Sep: 27, Okt: 8, 22, Nov: 23, 30) / Sofia Vinnik (Okt: 2, 10, 17, 19, Nov: 1)

Elettra: Nadja Stefanoff (Nov: 23, 30) / Marjukka Tepponen (Sep: 27, Okt: 2, 8, 10, 17, 19, 22, Nov: 1)

Ilia: Ekaterina Solunya

Oberpriester: Jianwei Liu

Orakel: Daeho Kim

Grazer Philharmoniker,

Statisterie der Oper Graz,

Herrenchor der Oper Graz,

Damenchor der Oper Graz

Marjukka Tepponen als Elettra & Dmitry Ivanchey als Idomeneo

Marjukka Tepponen als Elettra & Dmitry Ivanchey als Idomeneo. (Fotocredit: Oper Graz, WErner Kmetitsch)