Stimmungsbilder zwischen Endzeit und Aufbruch bei La Strada
Kritik: Ice - Utopia, Valentina Moar
Text: Sigrun Karre - 01.08.2024
Rubrik: Theater
In Kooperation mit dem La Strada Festival Graz kam das interaktive Tanzstück von Regisseurin und Choreographin Valentina Moar im Dom im Berg an zwei Abenden zur Aufführung.
Valentina Moars neues Tanzstück ‚Ice - Utopia‘, uraufgeführt beim diesjährigen La Strada Festival, beschäftigt sich mit dem Klimawandel, konkret mit der Gletscherschmelze.
Drei Tänzer:innen (Gloria Ferrari, Dafne Secco und Xianghu Zeng) eröffnen durch ihre prägnante Körpersprache neue Wahrnehmungsräume für dieses so reale wie zugleich oft abstrakt bleibende Phänomen des Klimawandels. Dabei geht der Blick nicht nach Außen, sondern nach Innen. Statt expliziter Gesellschaftskritik wird über den Körper eine Transformation mit allen damit verbundenen Emotionen erforscht.
Credit: Martin Hauer
‚Ice - Utopia‘ ist eine genreübergreifende Performance im besten Sinne. Live-Kamera-Projektionen kommen in Theater- und Tanztheater-Produktionen mittlerweile fast inflationär zum Einsatz, nicht immer mit Mehrwert.
Nicht so bei ‚Ice - Utopia‘. Hier werden die bewegt-bewegenden Körper auf der Bühne zum Pinsel für Paolo Scoppolas feinsinnig-präzise Viusal Art auf der Leinwand. Beide visuellen Ebenen verschmelzen zu einem dramatischen „Bewegtgemälde“, in das auch der Klangteppich, der sich seinerseits in verschiedene Genres und Gefühlslagen ausbreitet (großartige Komposition: Bojan Vuletic), organisch eingewoben ist.
Credit: Martin Hauer
Beeindruckend ist die Leistung und Präsenz der drei Tänzer:innen, die mal mit expressionistischer Mimik, mal mit insektenhaft anmutender Ästhetik oder „Wellenbewegungen“ den zwei betreffenden Aggregatzuständen des Wassers nachspüren.
Das Geräusch von brechendem Eis signalisiert Gefahr, aber auch den Durchbruch des beengenden Kokons. Das Prozesshafte einer unausweichlichen Transformation jenseits von Schwarz und Weiß wird mittels zarter und kraftvoller Berührungen, Angriff und Hingabe, Weichheit und Starre, Einheit und Vereinzelung wahrnehmbar gemacht. Wie stark Emotion auch körperlich wirkt, wird am Ende fühlbar, als sich ein kollektives Atmen knapp bis zum Nach-Luft-Schnappen steigert.
Credit: Martin Hauer
Die Regisseurin und Choreographin Valentina Moar ist eine der wenigen Profis in der zeitgenössischen Tanzszene mit Wohnsitz Graz. Das Arbeitsumfeld der gebürtigen Italienerin ist international besetzt. Mit Visual Artist Paolo Scoppola hatte sie bereits eine Zusammenarbeit (Built to Last, 2022).
Ihre künstlerische Handschrift, die von Vielschichtigkeit und Tiefstgang geprägt ist, ist auch in dieser einstündigen Performance klar lesbar. Wer bei La Strada nach Spaß und Unterhaltung selektiert, wird hier nicht fündig werden. Vor Schwere muss man sich aber auch nicht fürchten. Hier wird nicht an die Lachmuskeln oder den Kopf, sondern nuancenreich an die Feinfühligkeit adressiert.
Credit: Martin Hauer