Mehr ist mehr, La Strada

Kritik: Gravity & Other Myths, The Pulse

Text: Lydia Bißmann - 29.07.2023

Rubrik: Theater

Die 24 Artist*innen von The Gravity & Other Myths teilen sich bei “The Pulse” die Bühne mit einem katalanischen Frauenchor. (Credit:La Strada Graz / Nikola Milatovic)

Mit großen Gefühlen wurde das Publikum in der Grazer Oper bei der La Strada Eröffnung 2023 konfrontiert. Fast 60 Personen nahmen die Bühne für sich ein und zelebrierten für 70 Minuten vor allem eines: die Kraft und Schönheit der Interaktion als Gruppe.

Die mehrfach preisgekrönte australische Zirkuskompanie Gravity & Other Myths bekam bei der Performance „The Pulse“ Gesellschaft von Cor de Noies de l'Orfeó Català aus Barcelona. 24 Akrobat*innen und 36 junge Chorsängerinnen tummelten sich auf der Opernbühne und füllten auch den letzten Winkel des Hauses mit Energie. Sowohl ein Chor als auch eine Artist*innentruppe lebt von der Energie der Vielen, dem Einklang mit den anderen. Diese geballte Kraft im Doppelpack sorgte für ein ganzkörperliches Erlebnis beim Hinsehen, das seinesgleichen sucht.

Credit: La Strada Graz / Nikola Milatovic

Sinnlicher Zirkus der Zukunft

The Pulse ist eine Mischung aus artistischer Höchstleistung und modernem Tanz. Die australischen Akrobat*innen bauen anmutig choreografierte Menschenpyramiden und lassen sich durch die Luft schleudern, so wie andere Menschen zwinkern. Teilweise tun sie das auch bei völliger Dunkelheit, die die scheinbar schlichte, aber deswegen umso wirkungsvollere Lichtshow manchmal eben mit sich bringt. Dreiecksformen, die aus aufgespannten Seilen bestehen, bestreiten das Bühnenbild, Schattenspiele vor kräftigen Farben oder Flimmerlicht (Geoff Cobham) begleiten die Kunststücke sparsam, aber gut eingesetzt.

La Strada Graz / Nikola Milatovic

Die Poesie der Vielen

Die Dramaturgie (Darcy Grant) verzichtet auf eine einheitliche Geschichte, unterstreicht aber das Wichtigste: das Geben und Nehmen, die Interaktion, ohne die diese Kunststücke nicht möglich wären. In unzähligen aufeinanderfolgenden Loops bewegen sich die Künstler*innen wie ein einziger Körper. Wie selbstverständlich greifen Hände zu, stützen Rücken ab, werden Füße auf Schultern platziert, die dann bis zu 200 Kilogramm Mensch wie im Schlaf balancieren. Das sind alles Core-Values der Artistik, die bei The Pulse aber noch sanfter, noch liebevoller und dadurch noch kraftvoller erscheinen und für ihren ganz besonderen Zauber sorgen, der beim Hinschauen auch ein wenig tiefer unter die Haut geht.

La Strada Graz / Nikola Milatovic

Verkörperter Menschheitstraum

Paradies lautet das Motto der heurigen La Strada Ausgabe. So unterschiedlich wie die Menschen selbst sind auch ihre Vorstellungen vom Paradies oder paradiesischen Zuständen. Manche wünschen sich weiße Lämmer oder Bäche, in denen Milch und Honig fließt , andere schöne Frauen. Wiederum andere stellen sich vor, dass die für das Paradies gar nicht erst sterben zu brauchen und es ein Ort sein könnte, in dem jeder nach seinen Fähigkeiten und Bedürfnissen mit anderen zusammenleben kann. Dass die Starken unten sind und die Kleinen oben, wie das bei den Menschenskulpturen des Gravity & Other Myths Ensembles so bildhaft und sinnvoll vorgeführt wird. The Pulse ist noch am 31. Juli und am 1. August im Rahmen von La Strada zu sehen.