Barockjuwel mit Licht und Schatten in der Oper Graz
Kritik: Der Bürger als Edelmann, Bühnen Graz
Text: Martin Exner - 02.05.2024
Rubrik: Theater
Zum Saisonabschluss stemmt die Grazer Oper wieder ein aufwändiges Projekt auf die Bühne: Molières „Der Bürger als Edelmann“, als Comédie-ballett mit der Musik von Jean-Baptiste Lully eine Koproduktion mir dem Grazer Schauspielhaus. Eine Großanstrengung allemal, wenngleich mit nicht gänzlich zufriedenstellendem Ergebnis.
Das Gute zuerst: Der Abend ist abwechslungsreich und unterhaltsam, was vor allem auch daran liegt, dass die einzelnen Musikstücke Lullys geschickt um die Handlung verteilt wurden. Die landläufig bekannte Komödie um den neureichen Bürger Jourdain, der nichts unversucht lässt, zu einem Adelstitel zu kommen, und dabei von seiner Umgebung nur ausgenutzt wird, geht mit (zumeist) viel Tempo voran, auch an Humor fehlt es nicht, bisweilen ist die Grenze zum Klamauk nicht allzu fern.
Dass das Stück auf der Bühne des Opernhauses aufgeführt wird rechtfertigt die herausragende musikalische Umsetzung: Dirigent Konrad Junghänel, nicht nur Spezialist in historischer Aufführungspraxis, sondern auch weithin bekannt dafür, moderne Orchester mit den diffizilen Spieltechniken der Barockmusik vertraut zu machen, hat die Grazer Philharmoniker – die diesmal auf der Bühne platziert wurden – in ein veritables Barockensemble verwandelt, das die feine Musik Lullys präzise und mit Verve erklingen lässt – von der Continuo-Gruppe (besonders zu erwähnen: Bernhard Vogl am Cello) bis zu den formidablen Bläser-Solist:innen, da passte einfach alles.
Dem stand das Sänger:innen-Ensemble in nichts nach: aus dem harmonischen und schauspielerisch agilen Sängersextett um Franz Gürtelschmied, Euiyoung Peter Oh, Markus Butter und Wilfried Zelinka sind der Gast-Tenor Sebastian Monti (ein seltener und hier klangschön singender Vertreter des Stimmfaches Haute-Contre) und Ensemblemitglied Anna Brull besonders hervorzuheben, die ihre Rolle mit makelloser Technik und wunderbaren Klangfarben ausstattet – für das Grazer Opernorchester und -ensemble ein großer Erfolg!
Den Triumph des Opernhauses komplettiert das Quintett aus der Grazer Ballett-Kompanie, das in der pfiffigen Choreographie von Louis Stiens Höchstleistungen erbringt – und dabei auch noch die Statisterie ergänzt. Die oftmals an barocken Tanzstil angelehnten getanzten Preziosen sind eine Augenweide – schade nur, dass das Ballett (immerhin handelt es sich hier wie erwähnt um eine Comédie-ballett) viel zu wenig zu tun hat, mit ihm hätte man so manche Länge in der Aufführung (vor allem die belanglos ablaufende Zeremonie zum Ritterschlag im vierten Akt) vermeiden können.
Anna Brull, Markus Butter, Luisa Schwab, Tim Breyvogel, Credit: Barbara Palffy
Das alles klingt nun nach einer herausragenden Aufführung – wäre da nicht das Schauspiel! Regisseur Matthias Rippert beweist nicht viel Feingefühl für die Vorlage Molières, greift oftmals in die Übertragung ins Deutsche von Hans Magnus Enzensberger ein, Fäkalsprache ist omnipräsent. Die Idee, aus dem Nachkommen eines osmanischen Herrschers einen in Vorarlberg versteckten zukünftigen Kaiser Österreichs zu machen, der als potenzieller Schwiegervater Jourdains Träume wahr werden lässt, geht nicht auf. Im Gegenteil, die damit einhergehenden Verballhornungen des Vorarlbergerischen wirken eher peinlich, denn unterhaltsam, das permanente Bemühen anderer Dialekte (bis zum Stoasteirischen) ermüdet. Zudem wird oft gehetzt und laut rezitiert (manchmal gebrüllt), Versuche, den Figuren Profil zu geben vergehen im Ansatz. Immerhin gibt Tim Breyvogel den Jourdain als cholerischen Chaoten charaktervoll, wird aber von Franz Solar als souveräner Graf Dorante und Philosoph in den Schatten gestellt. Der Rest des – sicherlich sehr motivierten –Schauspielensembles hetzt durch die Inszenierung. Hie und da blitzen tatsächlich komische Situationen auf, doch von der genialen Vorlage Molières ist das alles allzu weit entfernt.
Insgesamt eine leichtfertig vertane Chance, dem Grazer Publikum ein Meisterwerk des Barock in seiner Genialität, Leichtigkeit und seiner Vielfalt nahe zu bringen. Die großartige musikalische Realisierung lohnt einen Besuch der Aufführung dennoch.
Tim Breyvogel (Jourdain), Musiker:innen der Grazer Phiharmoniker, Ensemble, Credit: Barbara Palffy