Charmante Nabelschau eines Rock-Poeten

Kritik: Dass es uns überhaupt gegeben hat, Marco Wanda, Zsolnay Verlag

Text: Lydia Bißmann - 12.09.2025

Rubrik: Literatur
Kritik: Dass es uns überhaupt gegeben hat, Marco Wanda, Zsolnay Verlag

Marco Wanda hat ein Buch über seinen WErdegang verfasst. (Fotocredit: Ingo Pertramer)

Marco Wanda alias Michael Marco Fitzthum hat mit Dass es uns überhaupt gegeben hat eine Autobiografie über seinen persönlichen Werdegang als Leadsänger der Band Wanda verfasst.

Einer Ohrwurmschleuder-Band, die der österreichischen Musikgeschichte ein neues (Unter-)Kapitel hinzugefügt hat. Trotzdem lässt sich die Geschichte auch dann wunderbar lesen, wenn einen Wanda die letzten zehn Jahre kaltgelassen hat. Die Erzählung eines Aufstiegs liest sich immer gut – Erfolg ist einfach schön anzusehen, vor allem, wenn im Laufe der Kapitel aus einem leicht räudigen Rock-Aschenputtel eine Amadeus-Gewinner-Prinzessin wird.

Quirliger Kunstkosmos Wien

Erfrischend unaufgeregt, schlicht und dennoch sehr effektiv, fast schon hypnotisch, erzählt Marco Wanda auf 288 Seiten den Werdegang eines leicht verwahrlosten Sprachkunststudenten mit Beatnik-Attitüde. Einer, dessen Lieder von den Professoren belächelt wurden und der Sehnsucht nach „der Band“ hatte (wie einst die Turtles aus der Kindheit). Das alles spielt sich zu Beginn der 2010er-Jahre in Wien ab, wo sich illustre, nerdige und verpeilte Menschen im Untergrund tummeln, mit Drogen und neuen Musikrichtungen experimentieren. Voller Liebe und Ehrfurcht schreibt er über seine Weggefährten und Inspirationsfiguren David Öllerer aka Voodoo Jürgens oder Nino Mandl (Der Nino aus Wien), erzählt von einem außer Kontrolle geratenen SPÖ-Bezirksfest, zu dem statt 300 plötzlich 15.000 Menschen erschienen, weil Wanda dafür engagiert wurde; von zerstörten Hotelzimmern, einem bescheuerten Ausflug nach Kairo während des Arabischen Frühlings und der vollkommenen Unfähigkeit, sich als Bestverdiener hochwertiges Kokain statt Ranz vom Schottenring zu besorgen.

Fette Sätze und die richtige Essenz

Marco Wanda ist ein begnadeter Songschreiber – das merkt man auch beim Lesen. Immer wieder, aber nie inflationär, serviert er Punchlines wie aus einem Guss, die auch für sich allein funktionieren würden, dem Werk aber einen besonderen Zusatznutzen verleihen. „Die meisten KünstlerInnen, die ich kannte, stahlen Fahrräder, verkauften Drogen, konsumierten Drogen, eine Menge Drogen, und darin gab es kein Alleinstellungsmerkmal mehr (…)“. „Trinken, dachte ich mir, ist wienerisch. Wenn ich also in einer Wiener Kunsttradition stehen will, die Kunst und Alltag verbindet, muss ich trinken (…) Denn ganz Österreich, so kam es mir vor, war eine zwischen Euphorie und Depression wankende Sperrstunde“, beginnt er gleich auf der ersten Seite. Solche Sätze streut er regelmäßig ein – und es stört überhaupt nicht, dass seine Schreibe zwischendurch wie ein Schulaufsatz wirkt. Wenn der Wein gut ist, ist das Gefäß egal. Die Erzählstimme des preisgekrönten Sängers ist lakonisch und mit dem exakt richtigen Maß an Eitelkeit ausgestattet. Obgleich berauschende Substanzen eine große Rolle spielen, werden sie weder verherrlicht noch verteufelt – es war eben so. Elegant spart er romantische Erfahrungen aus und stellt sich achselzuckend, aber aufrichtig, diversen Shitstorms und Kritik. Ein warmherziges, ehrliches Loblied singt er jedoch auf die Freundschaft und das Gemeinschaftsgefühl, das ihm das Performen mit „seiner Bande“ schenkt. Leidenschaftlich beschreibt er Dynamik, Insiderwitze und Zusammenhalt, die durch das gemeinsame Proben, Spielen, Texten und Touren entstehen. Das ist schön, macht Mut und hinterlässt beim Lesen ein flauschig warmes Gefühl im Bauch. Auch dann, wenn er erzählt, wie eine tote Taube in der Dachrinne für konstanten Modergeruch in seiner prekären Dachwohnung sorgte oder er eingestehen muss: „Es war deprimierend, als verwahrloster Freak gegenüber einer Eliteschule zu wohnen.“

Österreichische Musikgeschichte

Dass es uns überhaupt gegeben hat liefert auch ein Stück österreichische Zeit- und Musikgeschichte. Obwohl der Wanda-Höhenflug erst knapp zehn Jahre zurückliegt, wirkt es, als ob er tatsächlich im vorigen Jahrtausend passiert wäre. Hier werden noch Pickerl als Konzertwerbung geklebt, man ist stolz auf 97 Facebook-Freunde, verteilt selbst gebrannte CDs. Erwartungsgemäß erfährt man auch viel über die Schattenseiten, die Berühmtheit oder schlicht das Leben (mit und ohne gründlich ausgekostete Adoleszenz) mit sich bringen können. Neben der Entstehungsgeschichte von Gassenhauern wie Bologna, Meine beiden Schwestern oder Columbo, den ikonischen Pressefotos fürs erste Album samt weißem Mercedes oder den mit Freunden randvoll gefüllten Videodrehs, liest man auch vom Tod des Keyboarders Christian Hummer oder vom Ableben von Marco Wandas Vater, der als ehemaliger Kriegsberichterstatter zu Hause das größte Wanda-Archiv aller Zeiten angelegt hatte. Klar, es handelt sich dabei um eine sehr persönliche Darstellung, aber das wirkt eben literarisch – und nie auch nur eine Sekunde nach unziemlicher Angeberei oder koketter Bescheidenheit.

Pageturner mit Tiefgang auf Nachfrage

Das Buch ist ein unglaublicher Pageturner, den man nicht mehr weglegen kann, bevor nicht die allerletzte Seite verschlungen ist. Es ist mehr chronologische Bestandsaufnahme als Erzählung – es endet schlicht in der Gegenwart, kurz vor einem weiteren Amadeus-Gewinn (dem zwölften), den der Protagonist und Bandleader nicht persönlich entgegennehmen konnte, weil er gerade draußen eine Zigarette rauchen war. Marco Wanda ist eben so – und das ist auch gut. Er kann nicht nur die ohrwurmtauglichsten Songs der Welt schreiben, die auf Nachfrage dennoch Poesie und Tiefgang bieten. Auch in der Prosa (wo auch immer man ihn hier einordnen möchte) beweist er einmal mehr Wahnsinnstalent. Am besten: für die Lektüre eine Nacht zu Hause einsperren, das Handy ausschalten oder gleich einen Nachtzug nach Bologna buchen. Weil so viel Zeit muss sein!

Titel: Dass es uns überhaupt gegeben hat, Roman
Autorin: Marco Wanda
Verlag: Zsolnay Verlag
Erscheinungstermin: 19. 08. 2025
288 Seiten
ISBN: 978-3-552-07580-1

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