Eine Textflächenwerkstatt mit Tisch und anderen Dingen und vielen assoziativen Boni

Kritik: Collodis Schit, Theater am Lend

Text: Robert Goessl - 19.12.2025

Rubrik: Theater
„Collodis Schit“ von Franziska Füchsl und Yeongbin Lee im Theater am Lend

In der Werkstatt mit Klemens Dellacher und Clara Diemling (Fotocredit Edi Haberl)

Die Produktion von Anja M. Wohlfahrt ist die erste der neuen Werkstatt-Reihe, bei der zeitgenössische Texte er- und bearbeitet werden. In diesem Sinn ist das Ganze keine klassische Theateraufführung, sondern die Sichtbarmachung der Beschäftigung mit einem Theatertext. Dabei wird dieser auseinandergenommen, mit den Gedanken der Beteiligten versehen und damit zu etwas Neuem. So wird aus Fragmenten ein poetisches Fragment erschaffen, das mit den Gedanken und Fantasien der Zuseher spielt, und dabei immer wieder Brüche zeigt.

Die vier Akteur:innen sitzen zunächst gemütlich auf einer Bank im Eck. Da man aber, wenn man etwas dekonstruiert, zunächst wissen sollte, worum es sich dabei handelt, gibt es eine Einführung in das Werk und die Werkgeschichte von Carlo Collodis berühmtem Kinderbuch „Pinocchio“ von Anja M. Wohlfahrt, wobei im Hintergrund bereits Sägegeräusche zu hören sind (Sounds und Musik: Grilli Pollheimer). Hinter der Geschichte einer Holzpuppe, die zu einem Jungen wird, der in seiner Sorglosigkeit und Naivität einige Abenteuer erlebt, um dann grausam an einem Baum hängend zu verenden, bietet mehr als romantisch verklärte schwarze Pädagogik. Es ist eine Geschichte um Erschaffung und Zerstörung, um Anfang und Ende. Es ist die Geschichte von etwas Lebendigem, das aus Holz erschaffen wird, um dann am Ende wieder zu Holz zu werden, aber auch die Geschichte einer Marionette, die sich von ihren Seilen befreit, um dann an der gewonnenen Freiheit zu scheitern.
„Collodis Schit“ von Franziska Füchsl und Yeongbin Lee im Theater am Lend

Grilli Pollheimer, Clara Diemling, Klemens Dellacher und Anja M. Wohlfahrt entspannt am Anfang (Fotocredit Edi Haberl)

Dinge werden zum Leben erweckt

Danach beginnen die Performer:innen mit ihrem Spiel, die Texte dazu kommen aus dem Off – es tritt also nun die Textfläche von Franziska Füchsl in Aktion, die mit den choreografischen und akustischen Partituren von Yeongbin Lee zu einem performativen Kunstwerk wird, einer Installation, die sich fragmentarisch von einem als Textfläche konzipierten Stück ernährt, verbunden mit tänzerischen Bewegungen. Clara Diemling und Klemens Dellacher sind dabei die beiden Hauptakteur:innen, aber auch Anja M. Wohlfahrt greift immer wieder ein und auch Grilli Pollheimer unterstützt nicht nur mit Sound und Musik. Doch es sind auch Dinge, denen eine Hauptrolle zukommt: Ein Seil wird am Boden geschwungen und dann mithilfe von Zuseher:innen quer durch den Raum gespannt – also etwas, das für Dynamik und Leben steht, wird so zu einem Hindernis, das man irgendwie überwinden muss.
„Collodis Schit“ von Franziska Füchsl und Yeongbin Lee im Theater am Lend

Clara Diemling umgeht Hindernisse (Fotocredit Edi Haberl)

Die Abkehr vom Gewohnten

Clara Diemling und Klemens Dellacher nehmen das nächste Ding unter die Lupe, einen kleinen Tisch, ein Werkstück, um welches sie sich bewegen und an dem sie sich festhalten. Es ist eine Art Kampf um die Vorherrschaft oder doch die Suche nach der Gemeinsamkeit? Denn der Tisch kann sowohl trennen als auch verbinden, wenn man sich an ihm befindet und mit ihm und um ihn spielt. Er kann sogar einen Menschen mithilfe eines anderen Menschen tragen – er ruft also Gegenteiliges hervor, wie auch im Stücktitel angedeutet, von hinten nach vorn gelesen im Titel als „Schit“. Auch der Bühnenraum versucht auf diese Weise, Gewohntes zu durchbrechen: Der Text und die Partituren sind aufgehängt, jedoch auch vom ersten bis zum dritten Akt inklusive Epilog in ungewohnter Reihenfolge von rechts nach links.
„Collodis Schit“ von Franziska Füchsl und Yeongbin Lee im Theater am Lend

Klemens Dellacher trägt Tisch und Clara Diemling (Fotocredit Edi Haberl)

Man zeigt sich zwischendurch im Publikum

Dass sich Clara Diemling mit einem Holzglockenspiel spielt und sich sogar in dieses verbeißt und am Tisch liegend von Klemens Dellacher Geppetto-artig mit sichtbarer Gewalt mit altem Holzwerkzeug in eine Marionette verwandelt wird, setzt das Werkstatt-Ambiente fort – es wird ständig an Menschen gearbeitet, bis zum symbolischen Aufhängen an einem imaginären Baum. Zwischendurch mischt man sich auch ins Publikum, macht es auf den Text aufmerksam, und stellt sich die Frage, warum Carlo Collodi diese vollendete Geschichte in 14 Kapitel mit weiteren 24 Kapiteln fortgesetzt hat: Ob der Autor etwas vergessen hat, ob er noch etwas Wichtiges mitzuteilen hat, ob er Geld zum Essen brauchte oder einfach nur noch mehr Geld wollte? Da wird dann schon einmal die vierte Wand durchbrochen, um Pizza zu bestellen, die ebenso symbolisch kommt, wie sie dann an der Bar sitzend gegessen wird.
„Collodis Schit“ von Franziska Füchsl und Yeongbin Lee im Theater am Lend

Anja M. Wohlfahrt, Grilli Pollheimer, Clara Diemling und Klemens Dellacher verköstigen sich imaginär (Fotocredit Edi Haberl)

Das Leben als Werkstatt fragmentiert zwischen Dingen und Menschen

In dieser besonderen Aufführung erhält man 45 Minuten lang einen Einblick in die Arbeitsweisen und die assoziative Gedankenwelt rund um einen Text samt performativer Partitur. Es sind Splitter, die da entstehen, lose zusammengefügt als Live-Konstruktion samt Ebenenentschwindung. Man fühlt sich als Publikum nicht nur als Betrachter, sondern als Teil des Projekts, bei dem absichtlich nichts Fertiges gezeigt wird, sondern Möglichkeiten ausprobiert werden, sich einem Thema zu nähern. Bei diesem Herantasten versucht man, einem System auf den Grund zu gehen, Zusammenhänge zu ergründen und Verbindungen herzustellen, die am Ende wie im Leben fragmentarisch bleiben. Es wird auch offen gezeigt, dass nur Teile des Textes und der Partitur verwendet werden und dass wesentliche Elemente den eigenen weiterführenden Gedanken geschuldet sind. Nachdem ich mich das auch traue, möchte ich einen schönen Satz zitieren, der durch eine wunderbare automatische Übersetzung zustande gekommen ist: „Das Leben ist an einem Faden zusammengehängt, macht es nicht brechen!“
„Collodis Schit“ von Franziska Füchsl und Yeongbin Lee im Theater am Lend

Clara Diemling und Anja M. Wohlfahrt am Faden (Fotocredit Edi Haberl)

„Collodis Schit“ von Franziska Füchsl und Yeongbin Lee im Theater am Lend

Stücktext: Franziska Füchsl Choreographische und akustische Partituren: Yeongbin Lee Regie & Spiel: Anja M. Wohlfahrt Musik & Spiel: Grilli Pollheimer Spiel: Clara Diemling, Klemens Dellacher Raum: The four of them Grafik: Sophie Staib Termine: 25.03.2026 um 18:00 und 20:00 26.03.2026 um 11.00 und 18.00 Uhr
„Collodis Schit“ von Franziska Füchsl und Yeongbin Lee im Theater am Lend

Bastelstunde mit Text an der Wand (Fotocredit kuma)