Poetische Akrobatik quer durch die Jahrhunderte
Kritik: Cirque Le Roux, „Entre Chiens et Louves“, La Strada
Text: Lydia Bißmann - 26.07.2025
Das Festival für Straßenkunst, Figurentheater, Neuen Zirkus und Community Art La Strada hat sich für die Eröffnungsshow in der Oper Graz die französische Truppe Cirque Le Roux mit der Produktion Entre Chiens et Louves ausgesucht.
Die verträumte, detailverliebte und aufwendige Show „Zwischen Hunden und Wölfen“ ist eigentlich für das Warenhaus Le Bon Marché Rive Gauche entstanden. beschreitet im Neuen Zirkus neue Wege und verleiht seinen Produktionenseit der Gründung 2014 einen filmischen Charakter, bei dem es auch immer um Storytelling geht. The Elephant in the Room und A Deer in the Headlights waren bereits zu Gast beim Cirque Noël im Orpheum. Hier wurden die Ästhetik der 20er- und 70er-Jahre bedient, bei der aktuellen Show geht es gleich um drei Jahrhunderte.

Cirque Le Roux, Entre Chiens et Louves. (Fotocredit: La Strada/ Nikola Milatovic)
Charmantes Spiel mit Gravitation und Stereotypen
Protagonist Alex (Gregory Arsenal) ist den Tagebüchern von Maude aus den 1960ern und Louise, wohnhaft im Jahr 1865, verfallen und von einer großen Unruhe geplagt, da auf einmal in den magischen Journalen keine Einträge mehr zu finden sind. Über die Beschäftigung mit dem “Leben der Anderen”, sich um seinen eigenen Partner Tom (Andrei Anissimov) zu kümmern. Das Bühnenbild ist eine Hausfassade, die viele geheime Tricks aufweist. Klappen erlauben den Blick auf Wohnungen der Protagonist:innen aus dem 21., 20. und 19. Jahrhundert. Vor und auf ihr performt die Truppe in klassischer Artistik-Manier, die liebevoll auf den Verlauf der Geschichte zurecht choreografiert wird und einen zeitgenössischen Anstrich bekommt. Gleich zu Beginn wirft sich das achtköpfige Ensemble abwechselnd auf die Bühne und signalisiert so Gefühlschaos und innerliche Unruhe. Was unspektakulär und fast schlampig aussehen soll, verlangt aber genau das Gegenteil: absolute Konzentration und Körperspannung, die sich erkenntlich hinter der Showmimik der Artist:innen verbirgt. Maude (Maude Parent) verzaubert mit schlangenhaften Sitzgewohnheiten, bei denen sie ganz lässig einmal ein Bein hinter dem Kopf parkt oder einer atemberaubenden Fassadenkletterei, bei der sie von durch Löcher steckenden Händen ihrer Kolleg:innen unterstützt wird. Innig und anmutig ist die Liebesszene am Schilf zwischen dem Liebespaar Tom (Cirque Le Roux) und Alex. Wie die Rohrpflanze selbst wiegen sich beide in einer sachten Brise und formen poetische Zweierfiguren im Handstand. Beeindruckend: eine colonne à trois, ein Dreier-Hoch, mit einer Kaisha Dessalines-Wright als la porteuse (Untermann). Überhaupt spielt Diversität eine große, aber dennoch unaufgeregte Rolle. Heteronormative Zweierbeziehungen bekommen im Stück keine gute Note – hier ist der Übergang von Eifersucht zu Femizid ein fließender, was nicht schadet, da dieses unschöne Gefühl ohnehin unangemessen viel Aufmerksamkeit bekommt in Film, Fernsehen und Literatur. Viel schöner sind die Gefühle, ohne die die Artistikgruppe nicht arbeiten kann und die die Akrobat:innen miteinander verbinden: Vertrauen, Aufmerksamkeit, Verlässlichkeit und Konzentration. Die opulente und detailverliebte Inszenierung steht hier der artistischen Körperkunst manchmal ein wenig im Wege, da sie die Sinne ein klein wenig überstimuliert und von der Performance ablenkt. Echte Schweißperlen, rote Köpfe und kaum vernehmbares Ächzen unter der Körperlast von zwei oder gar drei Menschen sind eben doch die tatsächlichen Stars jeder Akrobatik-Performance, die jedem noch so schön designten Kostüm oder Bühnenbild immer die Show stehlen.
Entre Chiens et Louves ist eine wundervolle, 80-minütige Entführung in die Welt des Neuen Zirkus, die sich trotz großer und nicht immer ganz verständlicher Themen wunderbar für die ganze Familie eignet.

Cirque Le Roux, Entre Chiens et Louves. (Fotocredit: La Strada/ Nikola Milatovic)

Cirque Le Roux, Entre Chiens et Louves. (Fotocredit: La Strada/ Nikola Milatovic)

Cirque Le Roux, Entre Chiens et Louves. (Fotocredit: La Strada/ Nikola Milatovic)

Cirque Le Roux, Entre Chiens et Louves. (Fotocredit: La Strada/ Nikola Milatovic)