Ohrwürmer auf dunklem Hintergrund
Kritik: Augustin Maurs Out of Tune, steirischer herbst’24
Text: Lydia Bißmann - 22.09.2024
Der französische Musiker und Konzeptkünstler Augustin Maurs hat für die Performance Out of Tune ein buntes Repertoire an Musikstücken einstudiert. Auf Russisch, Englisch, Deutsch, Italienisch, Mandarin, Philippinisch, Turkmenisch und Spanisch singt er in einer kabarettartigen Atmosphäre im Orpheum Lieder, die meist von der Liebe handeln.
Eine schöne Sache – wäre da nicht die Tatsache, dass es sich bei den Titeln wie My Way, Brother Louie oder Blutrote Rosen um die Lieblingssongs von Diktatoren oder solchen, die es noch werden wollen, handelt. Der Untertitel: Favorite Songs of Dictators and Political Leaders (2024) hat das vorher schon verraten und zugegeben auch zum Besuch der Veranstaltung überzeugt. Trotzdem überkommt einen ein seltsames Gefühl, wenn der Künstler sein Programm ankündigt. Er tut das mit relativ wenig Beiwerk und lässt die Lieder, die nichts mit Unterdrückung oder Terror zu tun haben, im Kontext für sich sprechen. Nicht alle der adressierten Liederfans sind verbriefte Diktatoren, aber alle haben mehr oder weniger Blut an den Händen oder zumindest sehr viel Unheil auf dem Kerbholz. Alle sind sie aber Männer.
Augustin Maurs, Out of Tune: Favorite Songs of Dictators and Political Leaders (2024), Performance. (Credit: steirischer herbst / Wolf Silveri)
Behutsame Intervention
Augustin Maurs ist ein Spitzenmusiker, der sich bei jeder Note etwas überlegt hat und nichts dem Zufall überlässt. Er betont zwar vor Beginn des Programms, dass er nicht unbedingt ein Sänger ist und auch noch an einer Halsentzündung laboriert, aber seine Show wird dadurch nicht beeinträchtigt. Musikalisch wird er von Quentin Tolimieri und Til Van Der Vloet unterstützt, die das seltsame Musikrepertoire ebenfalls mit einer überzeugten Stoik und einer ordentlichen Prise ernsthaften Dadaismus darbringen. Mit einer sehr subtilen Dramaturgie und sanften Interventionen singt er manche Nummern so, als ob die Platte hängen geblieben wäre, oder lässt mit bedrohlichem Rauschen unterlegte Hühnergeräusche einspielen, wenn es an Benjamin Netanjahus Ententanz geht, den der israelische Präsident 2018 als Hommage an die Eurovision Song Contest-Gewinnerin Netta Barzilai aufgeführt hatte.
Klavier: Quentin Tolimieri. (Credit: steirischer herbst / Wolf Silveri)
Anstoß zum Unbehagen
Die Show ist kurz und exzellent gespielt und gesungen, alle Sprachen klingen phonetisch einwandfrei – zumindest jene, bei denen man das selbst beurteilen kann. Die Sitznachbarin bestätigt, dass auch das Mandarin gut zu verstehen war. Wie auch viele andere Programmpunkte des steirischen herbst’24, der unter dem Motto Horror Patriae stattfindet, ist auch Augustin Maurs Stück eines, das über die Grenzen der Aufführung hinausstrahlt und zum Weiterrecherchieren anregt. Nicht alle Despoten sind einem geläufig – nicht alle Lieder bekannt. Trotzdem braucht es eine Weile, um die Ohrwürmer, die sich einem unweigerlich ins Gehirn bohren, wieder loszuwerden, und es wird auch einige Zeit dauern, bis man den Modern-Talking-Hit wieder unbefangen hören kann. Aber vielleicht ist Unbefangenheit ja auch nicht das Gefühl, das aktuell angesagt ist.