Solo von Zaid Alsalame im TiB-Quartier

Kritik: Ampere, Lena Rucker

Text: Sigrun Karre - 26.06.2024

Rubrik: Theater

Credit: Johannes Gellner

Lena Rucker (Text, Regie) und Zaid Alsalame (Performance) sind mit ihrem zweiten gemeinsamen Theaterprojekt 'Ampere - Luis und Line steigen aus' zu Gast im Quartier des Theater im Bahnhof. Es wird dystopisch, aber auch komisch.

Wenn man die zwei letzten Ziffern des aktuellen Jahres 2024 vertauscht, ergibt das 2042, jenes Jahr, in dem die Öko-Dystopie von Theatermacherin Lena Rucker angesiedelt ist. Das ist eine nicht allzu ferne Zukunft, die das Premierenpublikum von ‘Ampere’ im Quartier des TiB statistisch gesehen noch vollständig erleben wird. Was könnte sich in 18 Jahren konkret in Graz verändern? Gravierendes in Umwelt, Gesellschaft und Politik, wenn nichts gegen den Klimawandel unternommen wird, ist Lena Rucker überzeugt.  Das über eine Bühnengeschichte zu transportieren, war die Idee hinter dem Stück, das übrigens auch eine Art Liebesgeschichte ist und dabei dennoch eine Soloperformance bleibt. Wie bereits bei Ruckers erstem Stück 'Österreich stinkt gut', arbeitet sie mit dem Performer und Schauspieler Zaid Alsalame zusammen. 'Ampere' ist sein drittes Bühnensolo in deutscher Sprache, bis vor ca. 10 Jahren hat er Straßentheater in Bagdad gemacht. Diese Information ist insofern nicht ganz irrelevant, da sein Spiel sich an vielen Stellen aus Erfahrungen speist, die man als europäischer Vertreter der Generation Alpha bis dato nicht gemacht hat. Überlebenskampf, Blackouts und eine sehr sorgsame “Beziehung” zum Generator, der einem abends eine Stunde heile Welt via TV beschert, sind Zaid Alsalame nicht fremd. 

Credit: Johannes Gellner

Stromab im Silberwald

Dass 'Ampere' nachdenklich macht, ohne zu deprimieren und zugleich sehr lustige Momente produziert, ist Lena Ruckers Text, ihrer reduzierten, frischen Inszenierung und der hinreißenden Performance von Zaid Alsalame zu verdanken. Als moderner Robinson Crusoe namens Luis ist er mit Line aus der ohnehin schon desolaten Grazer Gesellschaft ausgestiegen. "Ampere” gibt es vorwiegend für die Oberschicht am Grazer Ruckerlberg, sonst kommt Strom hauptsächlich als mythischer Wunderstoff vergangener Zeiten des Überflusses in Erzählungen vor. Auch ein kleiner Link zu einer Theater im Bahnhof-Produktion aus 2022 wird gelegt: Das Luxus-Ressort am Schlossberg aus “Palais Schlossberg” taucht in Lena Ruckers Zukunftsszenario kurz wieder auf, vielleicht auch als ein kleines inszenatorisches Dankeschön der jungen Theatermacher:innen für die Unterstützung durch das TiB-Ensemble. "Back to the Roots " heißt, wie schon in Zeiten von Henry David Thoreau, auch für Luis und Line: Back to the Woods! Im Grazer Hinterland findet das ungleiche Paar jedoch kein Paradies; das Klima hat sich bereits so weit verändert, dass sich extreme Trockenheit und sintflutartige Regengüsse abwechseln . Anna Sommer (Ausstattung) hat Flora und Fauna lückenlos in Stanniolpapier gepackt, auch der zwinkernde Wink mit dem Aluhut passt ins Farbkonzept.

Credit: Johannes Gellner

Von Hasenjagd und Kunsthunger

Es gilt Wasser zu rationieren, Fische zu züchten und einen Hasen zu erlegen. Apropos Hasen: Die sind die ersten, die es in Krisenzeiten erwischt, das liegt an ihrer Angst, sinniert Luis, der sich selbst lieber als Wolf versucht.  Ein Fußmarsch nach Venedig würde nur 10 Tage dauern, Sightseeing findet 2042 allerdings Unterwasser statt. Seine Liebe zum Generator Line ist zwangsläufig einseitig und von totaler Abhängigkeit gekennzeichnet, produziert Line doch das bisschen Strom, das unter anderem dafür sorgt, dass Luis recherchieren kann, welche Pilze genießbar sind. Als Luis nach Wasser gräbt, findet er doch “nur” Kunst. Zuerst erfreut er sich an der Musik, aber dann siegt doch die Rationalität im Überlebenskampf und die Frage nach dem Brennwert und weiterer Verwertbarkeit des Instruments.  Zaid Alsalame schafft es, in 'Ampere' alleine auf der Bühne eine durchgehende Spannung aufrechtzuerhalten. Dabei passiert keineswegs viel gänzlich Unerwartetes, während die (Bühnen-) Sonne wiederholt auf- und untergeht und er im kleinen Lichtradius der Stirnlampe überlebt. Der Schauspieler und Performer, der seit einigen Jahren in der Grazer OFF-Szene präsent ist, hat insbesondere in seinen Solo-Rollen eine ganz charakteristische Art des Spiels: witzig, schräg und zugleich tief berührend. ‘Ampere’ ist jedenfalls ein kräftiges, eigenständiges Lebenszeichen der jüngsten Freien Szene in Graz! Sehr sehenswert!

Credit: Johannes Gellner