Fünf Frauen über fünfzig lassen ihre Geschichten und ihre Gedanken durch junge Schauspielerinnen verkörpern

Kritik: Aging Trouble, Follow The Rabbit

Text: Robert Goessl - 30.10.2025

Rubrik: Theater
„Aging Trouble“ von Follow The Rabbit

Nina Dafert, Sarah Zelt, Michaela Tusch, Jona Moro, Tessa Rossak (Fotocredit: Lisa Horvat)

Die wahrscheinlich letzte Produktion von „Follow The Rabbit“ begibt sich bewusst in kritisches Terrain. Die Performance geht der These nach, ob die Kategorie „Alter“, ähnlich wie die Kategorie „Geschlecht“, nicht einfach gesellschaftlich konstruiert ist, und wie es sich damit lebt, als „alt“ gekennzeichnet zu werden. Dabei wurden Interviews mit vier Frauen im Alter zwischen 53 und 82 geführt, und auch die 55 Jahre alte Regisseurin Nadja Brachvogel steuert ihre Gedanken bei. Verkörpert werden diese fünf Frauen auf der Bühne allerdings von Schauspielerinnen mit einem Spielalter zwischen 18 und 35. Ihr wirkliches Alter erfährt man nicht, da in der Schauspielbranche dieses unerheblich ist, und es nur darauf ankommt, für welche Rollen man altersmäßig auf der Bühne verwendet werden kann.

Gleich zu Anfang wird thematisiert, dass bei einem Stück über Altersdiskriminierung keine alten Menschen auf der Bühne sind. Da ältere Schauspielerinnen grundsätzlich kaum noch Rollenangebote bekommen, wirkt es, sie von jüngeren Avataren verkörpern zu lassen, massiv widersprüchlich. Doch in dem auf die Rückwand projizierten Text rechtfertigt sich die Regisseurin Nadja Brachvogel in einem fiktiven Gespräch mit einer Theaterleitung damit, dass es um das Prinzip der Repräsentation geht, denn was wir sagen, wird auch immer mit dem Körper verbunden, der es sagt. Und wenn daher jüngere Frauen ältere Stimmen darstellen, wird das Gesagte mehr Empathie hervorrufen und damit auch relevanter wirken. Dass eine Schauspielperson kurzfristig ausfiel und die „Rolle“ von Nadja Brachvogel von allen anderen teils als Chor, teils aufgeteilt übernommen wurde, gibt ihren Texten einen besonderen Touch, da sie wesentlich persönlicher sind als die der anderen vier Frauen.
„Aging Trouble“ von Follow The Rabbit

Nina Dafert, Sarah Zelt, Michaela Tusch, Tessa Rossak (Fotocredit: Clemens Nestroy)

Die Avatare stellen ihre Alter Egos und sich selbst vor

Neben den vier Akteurinnen befindet sich im Hintergrund der Bühne zunächst kaum sichtbar das Frauen-Vokalensemble „Die Sibyllen“, das als Klangkörper die Stimmung mit gesummten Melodien, Gesang und Lautmalerei unterstützt oder auch konterkariert. Auf der von Lisa Horvath gestalteten Bühne befinden sich nur fünf Paravents, die immer wieder verschoben werden und sowohl als Rückzugsgebiet als auch als Projektionsflächen dienen. Die vier Schauspielerinnen Nina Dafert, Tessa Rossak, Sarah Zelt und Michaela Tusch, deren Kostüme von Katharina Wraubek an die Kleidung der älteren Vorbilder angelehnt wirken, scheinen auch das von ihren alten Alter Egos in den Interviews Gesagte wortwörtlich inklusive Sprechpausen und so manchem Verhaspler wiederzugeben, was sehr sympathisch wirkt.
„Aging Trouble“ von Follow The Rabbit

Nina Dafert, Sarah Zelt, Michaela Tusch, Tessa Rossak (Fotocredit: Clemens Nestroy)

Geschichten aus der Vergangenheit, die das Leben als Frau schrieb

Doch sie spielen keine alten Menschen. Die Art und Weise der Darstellung wirkt jugendlich, man gibt sich durchaus salopp. Dadurch erzielt das Gesagte eine etwas andere Wirkung: Es wirkt nicht absurd, sondern frisch. Die Geschichten wirken nicht verstaubt oder melancholisch, sondern eher kämpferisch und trotzig, auch wenn dabei von vielen frustrierenden Momenten die Rede ist. Abwechselnd wird von Männern aus der Vergangenheit berichtet, von Engagements in der Jugend und auch von den Erwartungen an das Leben. Und dass man sich zwischen Mann und Karriere entscheiden musste. Oft geht es auch darum, wie man als Frau im Leben benachteiligt wurde und wird. Wenn man zum Beispiel nicht hübsch ist, sollte man gescheit und nett sein. Dann wird man im Krankheitsfall vielleicht doch nicht im Alter von seinem Mann verlassen, wobei Frauen im Gegensatz dazu auch ihren Männern in schweren Zeiten beistehen.
„Aging Trouble“ von Follow The Rabbit

Sarah Zelt, Michaela Tusch, Tessa Rossak, Nina Dafert (Fotocredit: Clemens Nestroy)

„Denn das Altern tut mir weh.“

Es wird erzählt, wie man mit den körperlichen Einschränkungen gelernt hat zu leben, mit dem „grauen Star als treuem Vogel, der immer wiederkommt“, mit der Veränderung der Gesangsstimme durch die hormonelle Umstellung oder wie man den Wechseljahren davonrennen kann. Doch es geht nicht nur um körperlichen Schmerz, es geht auch um Statusverlust und das Unsichtbar-Werden, um digitale und berufliche Altersdiskriminierung, Bevormundung und Altersarmut. Dabei leisten die jungen Avatare ganze Arbeit, denn trotz der bedrückenden Themen ist immer Selbstironie dabei, wenn etwa die Verkörperung von Nadja Brachvogel einen Nestroy-Preis aus ihrer Tasche hervorholt als Beispiel für symbolisches Kapital. (Zur Erinnerung: Nadja Brachvogel hat tatsächlich einen Nestroy gewonnen für die Produktion „Ahnfrauen“ mit den Rabtaldirndln). Manchmal geht es auch trotzig zur Sache, wenn eine gestrichene langweilige Szene einfach trotzdem stattfindet, die mit Statistiken bezüglich des zunehmenden Missverhältnisses zwischen Beitragszahler:innen und Pensionist:innen beginnt und mit dem Wunsch nach mehr Respekt für die Älteren durch die junge Generation und folglich nach mehr Solidarität zwischen den Generationen endet.
„Aging Trouble“ von Follow The Rabbit

Michaela Tusch, Sarah Zelt, Nina Dafert, Tessa Rossak (Fotocredit: Clemens Nestroy)

Kulturhistorische Beispiele inklusive Wutanfall, mit dem „Rosenkavalier“ als Skandaloper und Hagsploitation-Filmen als kranke Männerfantasie

Sandro Botticellis Bild „Das Urteil des Paris“ wird als Beispiel genommen, wie sich Frauen den männlichen Wünschen anpassen und sich damit dem patriarchalen System unterwerfen. Das bringt Nadja Brachvogels Avatar dazu, in einem Wutanfall über die heutigen jungen Frauen herzufallen. Sie behaupten, emanzipiert zu sein, stellen aber unsolidarisch ihren Körper, ihr Aussehen und ihre Wirkung auf Männer, in den Vordergrund: „Eure Körper sind eine Waffe, mit denen ihr mich herabsetzen könnt.“ Männer werden im Alter reifer, Frauen im Alter einfach nur älter, und das ist in einer Welt, in der letztendlich die „Fuckability“ zählt, entscheidend. So ist es auch in Richard Strauß’ Oper „Der Rosenkavalier“, in der die Figur der Marschallin als ältere Frau eine Liebschaft mit einem jungen Mann eingeht, im Wissen, dass er sie früher oder später wegen einer jüngeren verlassen wird. So logisch das klingt, so sehr war die Tatsache, dass sich eine ältere Frau mit einem jungen Mann vergnügt, seinerzeit ein Skandal. Extrem wird es in den Hagsploitation-Filmen von den Dreißigern bis zu den Neunzigern unter dem Motto „50 Shades of Gerontophobia“. Ältere Frauen, die ihre Jugend und ihre sexuelle Attraktivität bewahren wollen, werden von „Schneewittchen“ über „Baby Jane“ bis zu „Herold & Maude“ auf die eine oder andere Weise zu Monstern und dafür bestraft, weil sie sich nicht in die Rolle der Lieblosigkeit und Nutzlosigkeit im Alter fügen wollen.
„Aging Trouble“ von Follow The Rabbit

Sarah Zelt, NIna Dafert, Michaela Tusch, Jona Moro, Tessa Rossak (Fotocredit: Lisa Horvath)

Das Besiegen der Angst vor dem Altern, dem Dahinsiechen und dem Tod unter einem Seifenblasenregen

Die vordergründig als dokumentarisches Theateressay bezeichnete Inszenierung ist trotz des komplexen Themas und einer Vielzahl an Fakten kurzweilig und lebendig. Sie zeigt ein Aufbäumen, mit einer großen Portion Selbstironie und ebenso viel Würde, obwohl die Gedanken immer um Altersdiskriminierung kreisen. Die demonstrativ lockere Darstellung der alten Frauen durch die jungen Avatare mit viel Bewegung macht den Unterschied zwischen dem weiblichen und dem männlichen Älterwerden sichtbar und spürbar. Die vier Schauspielerinnen Nina Dafert, Tessa Rossak, Sarah Zelt und Michaela Tusch zeigen dabei eine gewisse Respektlosigkeit, aber auch großes Einfühlungsvermögen. Vor allem aber merkt man, dass die Regisseurin Nadja Brachvogel nicht nur ihr Handwerk versteht, sondern auch dazu bereit ist, viel von sich selbst und ihren Unsicherheiten und Ängsten, aber auch ihrer Wut bereit ist herzugeben. Spätestens wenn es dann am Ende Seifenblasen regnet, merkt man, dass die Idee, alten Frauen durch junge Avatare eine Stimme zu geben, in dieser Inszenierung voll aufgeht, und es ist erstaunlich, wie schnell zwei Stunden vergehen können, wenn schwierige Themen mit Raffinesse und gut durchdacht auf der Bühne gezeigt werden.
„Aging Trouble“ von Follow The Rabbit

Nina Dafert, Sarah Zelt, Michaela Tusch, Jona Moro, Tessa Rossak (Fotocredit: Lisa Horvat)

„Aging Trouble“ von Follow The Rabbit im Theater am Lend

Ein dokumentarischer Theateressay von Nadja Brachvogel Regie, Konzept, Text: Nadja Brachvogel Co-Regie:Martin Brachvogel Dramaturgie: Martin Brachvogel, Victoria Fux Performance: Nina Dafert, Tessa Rossak, Sarah Zelt, Michaela Tusch, (Jona Moro) Bühne, Videodesign: Lisa Horvath Kostüme: Katharina Wraubek Technik: Thomas Grassegger Projektionen: Moritz Ostanek Musikalische Leitung: Christine Pollerus Frauen-Vokalensemble „Die Sibyllen“: Barbara Ertl-Leitgeb, Elisabeth Glavic, Angelika Herzog, Brigitte Jakelj, Hildegund Köfler, Katharina Laube, Vera Reischl, Andrea Rieger, Astrid Schludermann, Anika Stracke Choreografie: Maja Karolina Franke Termine: 31.10. (Fr), 01.10. (Sa) jeweils 20:00 Uhr Ticketlink
„Aging Trouble“ von Follow The Rabbit

Sarah Zelt, NIna Dafert, Michaela Tusch, Jona Moro, Tessa Rossak (Fotocredit: Lisa Horvath)