Philosophisches im Warteraum zum Tod

Kritik: a waiting im Grazer Volkshaus

Text: Martin Exner - 14.08.2023

Rubrik: Musik

Credit: Lena Kern

Uraufführungen stehen in Graz ja nicht auf der Tagesordnung – im „Nachschlag“ zum Festival La Strada war es wieder einmal so weit: „a waiting – singspiel mit musik“ erblickte im Grazer Volkshaus das Licht der Welt – und hinterlässt nachhaltig Eindruck.

Sie sind gestorben, aber noch nicht tot, sie warten in einem Zwischenraum auf den finalen Gang ins Licht. Und dass Warten manchmal nicht einfach ist, zeigt sich in diesem variantenreichen neuen Stück von Librettist Albert Pall und Komponist Henrik Sande. Zwei Namenlose müssen sich den Warteraum teilen, was bisweilen zu (tragi)komischen Situationen führt, aber auch Möglichkeit zu philosophischen Monologen oder animierenden Zwiegesprächen gibt. Sprachmagier Albert Pall behandelt in seinem ausgewogenen Libretto großteils philosophisch, in manchen Momenten auch wirklich witzig, große Themen, von schwarzen Löchern bis zum Krieg, von der Energiekrise bis zum Sinn des Lebens – und gibt den beiden Protagonist:innen nebenbei subtil die Gelegenheit, einander näherzukommen. Der in Graz (unter anderem bei Gerd Kühr und Beat Furrer) ausgebildete und lebende norwegische Komponist Henrik Sande liefert dazu eine variantenreiche Partitur: über den Grundduktus aus Elementen der Minimal Music baut er immer wieder musikalische Einwürfe, die da an Piazzolla, dort an Weill erinnern, sich zumeist aber durch ein eigenes Flair auszeichnen und schlussendlich einen Sog erzeugen, in den man sich gerne hineinziehen lässt. Umgesetzt wird der musikalische Teil vom formidablen, 8-köpfig besetzten Ensemble Schallfeld, das die rhythmisch teils komplexe und mit zahlreichen solistischen Herausforderungen durchsetzte Komposition bravourös und präzise bewältigt, souverän und mit beachtlicher Übersicht und Ruhe geleitet vom jungen Dirigenten Kenichiro Kojima, ab kommender Saison immerhin Assistent von Kent Nagano in Hamburg, und damit gerade auf einer steilen Karriereleiter unterwegs. Getragen wird das Stück naturgemäß von den beiden Darsteller:innen: Er, präzise interpretiert durch den aus Mexiko stammenden, nun in Graz beheimateten Tenor Adrián Berthely, der seine Rolle des zunächst Verunsicherten, der zum Ende hin die Zügel in die Hand nimmt, glänzend ausfüllt und nicht selten die Gelegenheit hat, seine prächtigen stimmlichen Möglichkeiten zu entfalten. Sie hingegen, formidabel dargestellt und gesungen von der Mezzosopranistin Annette Schönmüller, trägt das Stück: wie die Spezialistin für zeitgenössische Musik Langeweile im Warten über die Bühne bringt, wie sie uns ihre Abneigung zu Musik (auch hier großartiges Zusammenspiel von Librettist und Komponist!) zeigt, wie sie die philosophischen Ansichten ihrer Figur – stimmlich präsent und immer wortdeutlich – zwischen großem Ernst und lässigem Augenzwinkern ihrem Gegenüber und dem Publikum fast schon aufdrängt, das hat große Klasse. Ein – bei den leider nicht allzu vielen, die dabei waren – wohl lange nachwirkender Abend und schlussendlich ein großer Erfolg für die Mitwirkenden und vor allem für Albert Pall und Henrik Sande. An die Grazer Kunstszene: Bitte in Zukunft mehr davon!

Credit: Oliver Wolf