Austropop-Epos im Abstürzbeisl
Filmkritik: Voodoo Jürgens in 'Rickerl' von Adrian Goiginger
Text: Lydia Bißmann - 23.01.2024
Rubrik: Film
Der neueste Film von Adrian Goiginger, 'Rickerl – Musik ist höchstens a Hobby', handelt von einem liebenswerten Musiker, der sich gerne in Zuhälter-Klamotten wirft, es aber tatsächlich selbst nicht schafft, seine Arbeitskraft, geschweige denn seine Kunst zu verkaufen. Damit ist Goginger ein Werk gelungen, das alle Altersgruppen, alle Schichten und vor allem Freunde des vom Hauptdarsteller wiederbelebten Austropop anspricht und das Zeug zum Publikumshit hat.
Voodoo Jürgens schlüpft im Film in die Rolle des Teilzeitvaters Erich „Rickerl“ Bohacek, der sich mit dem Behalten von prekären Jobs und dem Aufnehmen seines ersten Albums schwertut. Künstlerischer Selbstzweifel, Liebeskummer und nicht zuletzt der Wiener Spritzwein machen ihm abwechselnd einen Strich durch die Rechnung. Moralische sowie berufliche Unterstützung bekommt Rickerl aber von seinen Freunden im Espresso MMM, seiner Ex-Freundin Vici (Agnes Hausmann) und seinem Sohn Dominik (Ben Winkler), den er mit Gitarrenspiel über einen Kinobesuch hinweg tröstet, den er sich gerade nicht leisten kann.
Ben Winkler (Dominik), Ronald Seboth (Heinzi) und Linde Prelog (Sylvia) im Sehnsuchtsort Beisl. (Credit: Entertainment / Giganten Film)
Heile Second-Hand-Welt mit Dialekt-Weisheit
Tarockiert wird im Beisl um echte Zigaretten, die immer und überall geraucht werden. Der Singer-Songwriter Rickerl schreibt seine Texte auf einer Schreibmaschine und nimmt die Lieder mit einem Kassettenrekorder auf. Das Modernste, das ihn umgibt, ist ein Handy, mit dem man nur telefonieren und SMS verschicken kann. 'Rickerl' spielt in einer gemütlichen, heilen Second-Hand-Welt mit jeder Menge Herausforderungen, in der jede*r einzelne Protagonist*in es verdient hat, geliebt zu werden. Sogar die bemühte AMS-Beraterin (Nicole Beutler) oder der spielsüchtige Herr Papa (Rudi Larsen), der mit seinem Sohn die Vorliebe für bunte Hemden, aber nicht dessen Familiensinn und Musikgeschmack teilt, ist irgendwie sympathisch in seiner unerschöpflichen Zuversicht in die Glücksgöttin Fortuna. Alex Miksch ist kein Dieb, sondern ein freundlicher Sandler mit versteckten Talenten. Mitra Milasevic führt das MMM Espresso in echt und hat sich dazu überreden lassen, eine Erotik-Shop-Besitzerin mit sehr viel Scharfblick zu mimen. Damit steuert sie dem Film eine der besten Szenen bei.
Wie auch David Öllerer, der in den letzten Jahren zunehmend Auftritte in Filmen wie „Sargnagel, der Film (2021)“, „Vienna Calling (2023)“ und „Animal (2023)“ hatte, ist sie kein Profi in der Schauspielerei, besticht aber mit Tiefe und Authentizität. Schließlich muss man auch schauspielern können, wenn man sich selbst spielt oder zumindest eine Figur, die eng an die eigene Biografie angelehnt ist. Agnes Hausmann gibt die Kindesmutter authentisch und unaufgeregt. Sie jongliert glaubhaft und überzeugend mit Emotionen wie Zweifel, Sorge und Zuversicht und ist eine angenehme Alternative zu weiblichen Stereotypen im Film und im echten Leben.
Rudi Larsen als Rickerls spielsüchtiger Vater Heli. (Crdit: Entertainment / Giganten Film)
Musik im Mittelpunkt
Wie schon in „Die beste aller Welten (2017)“ hat es Adrian Goiginger geschafft, einen Film über problematische Themen zu machen, der trotzdem wunderschön ist und Hoffnung gibt, obwohl das Happy End fehlt oder vielleicht auch gerade deswegen. Ohne Sozialromantik und Plüsch wird das vom Aussterben bedrohte Beisl-Milieu gefeiert. Die Figuren in 'Rickerl' bewegen sich einfach durchs Leben, pflegen und vernachlässigen ihre Freundschaften, saufen, spielen und geben im Wiener Dialekt mehr oder weniger schlaue Weisheiten von sich – die Geschichte plätschert im Hintergrund mit. Das Leben ist ja keine auserzählte Geschichte, es geht ja immer weiter. So fehlt auch eine richtige Liebesgeschichte, jeder Mitwirkende ist Held*in und Anti*heldin zugleich und kann jederzeit noch falsch abbiegen. Die Hauptrolle in 'Rickerl' hat die wunderschöne Musik, die meist von Voodoo Jürgens erstem Album stammt und gerne in voller Länge zelebriert wird.
Agnes Hausmann (Vivi). (Credit: Entertainment / Giganten Film)