Vom Kontrollverlust durch KI zur Rückgewinnung der Verantwortung durch menschliche Kreativität

Ausstellung: Out Of Control, esc medien kunst labor

Text: Robert Goessl - 24.10.2025

Rubrik: Kunst
Ausstellung: Out Of Control im esc medien kunst labor

„membrana“ von ::vtol: (Fotocredit: Martin Gross)

In einer Welt, in der KI-Prozesse zunehmend mehr Aufgaben übernehmen, geht es nicht nur um das Zurückgewinnen der Kontrolle, sondern auch um die Rückgewinnung der Verantwortung und um die Bedeutung der menschlichen Kreativität bei diesem Prozess. Die unterschiedlichen Arbeiten der Ausstellung zeigen sowohl die Gefahren auf kreative Weise als auch mögliche Wege der menschlichen Selbstbehauptung, oft auch mit einem Augenzwinkern. Denn oft generieren KI-Prozesse auch zufällige Ergebnisse. Dabei gibt es auch die Möglichkeit der Interaktionen mit Maschinen, die scheinbar etwas Menschliches simulieren.

Unauffällig und unscheinbar ist ein Staubsauger-Roboter samt Docking-Station gegenüber einem großen Nadeldrucker installiert. Beide sind die Teile der Installation „Ich stimme zu“ von Nina Botthof und Alex Kremser. Der Staubsauger-Roboter scannt, um den Boden der Ausstellung sauber zu halten, nicht nur die Umgebung, sondern er schickt auch Daten zum Hersteller. Jedes Mal, wenn das der Fall ist, wird der nächste Satz eines KI-generierten Pseudo-Vertrags mittels Nadeldrucker auf Endlospapier ausgegeben. Die Papiermassen, die sich am Boden sammeln, machen sichtbar, wie viele persönliche Daten gesammelt werden.
Ausstellung: Out Of Control im esc medien kunst labor

"Ich stimme zu“ von Nina Botthof und Alex Kremser (Fotocredit: kuma)

Zwei Staubsauger-Roboter sind der Mittelpunkt der kinetischen Audioinstallation „Vacuum talks“ von Nick Acorne. Sie führen miteinander absurde, teils existenzialistisch anmutende Gespräche, in denen sie die Frage nach dem eigenen Dasein und ihrer gesellschaftlichen Position verhandeln. Die Alltagsgegenstände, die ja auch in ihrer natürlichen Funktion mit ihrem Hersteller „sprechen“, werden so zu individuellen Charakteren und zeigen menschenähnliche Persönlichkeitszüge, als würden sie sich gegen ihren Besitzer und Hersteller auflehnen.
Ausstellung: Out Of Control im esc medien kunst labor

„Vacuum talks" von Nick Acorne (Fotocredit: kuma)

Maschinen, die mit Menschen interagieren und Empathie hervorrufen wollen

In „1000 Behaviors“ von Lotta Stöver simuliert ein Roboter ein anfangs zufälliges Bewegungsmuster, das von Ausstellungsbesucher: innen bewertet werden kann und der so versucht, ein vermeintlich optimales Verhalten zu finden, um den menschlichen Wünschen entsprechend zu handeln.
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„1000 Behaviors“ von Lotta Stöver (Fotocredit: kuma)

Auch als mechanischer Körper kann man die Installation „membrana“ von ::vtol:: (aka Dmitry Morozov) verstehen, in der mit der menschlichen Empathie gegenüber einem Roboter gespielt wird: Ein sanftes und bescheidenes Maschinenwesen erschreckt sich, wenn es zu viel Aufmerksamkeit erhält oder wenn jemand versucht, sich ihm zu sehr zu nähern. Sonden scannen die Umgebung und diese ziehen sich zurück, wenn sich jemand nähert. Eine mit Flüssigkeit gefüllte Silikon-Membran in der Mitte wird dabei gedehnt oder zusammengedrückt und erzeugt durch eine Lampe eine schöne fantasievolle Projektion an der Wand als kleines Dankeschön für das Publikum.
Ausstellung: Out Of Control im esc medien kunst labor

„membrana“ von ::vtol: (Fotocredit: kuma)

In Emanuel Gollobas Arbeit „disarming II“ versucht eine Roboter-Extremität mithilfe von maschinellem Lernen einen Weg zu finden, sich auf einer Turnmatte fortzubewegen. Dieser Teil wirkt dabei wie losgerissen von einem größeren Objekt und in seiner neu gewonnen Unabhängigkeit hilflos und seiner Effizienz beraubt als seltsam eigenständiges Objekt, das sich auf eine Sinnsuche begibt und dabei Empathie in seiner entschlossenen ungeschickten Unbeholfenheit hervorruft als Gegensatz zu den hochproduktiv arbeitenden Industrierobotern.
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„disarming II“ von Emanuel Gollobas (Fotocredit: kuma)

Die Klänge der Erde und der Steine und die Bilder aus dem Weltall

Die Klanginstallation „Soil Choir“ von Jiri Suchanek besteht aus Plexiglasrohren, in denen verschiedene Bodentypen (Torf, Mischwald, Lehm mit Steinen) befinden. Es wird die Bodenfeuchte in verschiedenen Tiefen als Referenz für tatsächliche Dürren infolge der Klimaveränderung gemessen und in organisierte Klangstrukturen umgewandelt. Diese Arbeit gibt normalerweise stillen und langsamen Prozessen eine Stimme. Obwohl die musikalische Zeit der Installation auf eine fast nicht-menschliche, ökologische Zeitskala eingestellt ist (Veränderungen finden innerhalb von Stunden, Tagen, Wochen oder sogar Monaten statt), könnte dieses System auch als Instrument verwendet und sogar (durch Zugabe von Flüssigkeit) gespielt werden.
Ausstellung: Out Of Control im esc medien kunst labor

„Soil Choir“ von Jiri Suchanek (Fotocredit: kuma)

In einer weiteren Installation namens „Geofónie“ von Jiri Suchaneks Installation fungieren drei Sedimentgesteine als Vinyl-Platten, die mit einem Laser abgetastet werden. Das Ergebnis des Abtastens wird in Klänge übersetzt und an einen rotierenden Lautsprecher übertragen, wodurch ein komplexeres räumliches Klangfeld entsteht. Auf diese Weise lässt sich die Natur als Symphonie von Klängen wahrnehmen auf der Basis von Gestein, das vor 380 bis 360 Millionen Jahren entstanden ist.
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„Geofónie“ von Jiri Suchaneks (Fotocredit:kuma)

„An Eye from Above“ von Nicolas Montgermont benutzt ein Live-Signal von einem NOAA-Satelliten und übersetzt es in ein Bild des Umgebungshimmels. Das Signal ist auch von Umgebungsrauschen gestört und bricht auch immer wieder durch die Nichterreichbarkeit eines Satelliten ab. So wirkt das zeilenweise entstehende Bild wie ein langsamer Lidschlag, der sich vom Auftauchen des Satelliten über dem Horizont bis zu seinem Verschwinden unter dem Horizont vollzieht.
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„An Eye from Above“ von Nicolas Montgermont (Fotocredit:kuma)

Das Licht der Sonne und das Licht der Menschen

Die „SolarCrawlers“ von Juli Laczkó sind einfache, kleine, netzunabhängige Roboter aus Elektroschrott, Schaltkreisen und Holz. Sie werden durch Sonnenlicht aktiviert und bewegen sich langsam vorwärts. Trotz ihres zerbrechlichen Aussehens sind sie widerstandsfähig. Sie gehen ihre eigenen Wege, die nicht reproduzierbar sind, und so ist ihr Betrieb nicht auf die Ausbeutung von Menschen und natürlichen Ressourcen angewiesen.
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„SolarCrawlers“ von Juli Laczkó (Fotocredit:kuma)

Als Lichtskulptur, die die Zeit und Bewegung reflektiert, ist „Crossing #03“von Akinori Goto zu verstehen. Ausgehend von zwölf gehenden Personen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und ethnischer Herkunft werden deren individuelle Gangarten in Daten umgewandelt, von einem 3D-Drucker in Form von Netzen ausgegeben und zu einem Objekt zusammengefasst. Dieses wird von Lichtstrahlen getroffen, womit sich unterschiedliche Rhythmen und Bewegungsgeschwindigkeiten ergeben. Diese Lichtmuster verkörpern einen Fluss der Zeit als abstrahierte Bewegungen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
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„Crossing #03“ von Akinori Goto (Fotocredit:kuma)

Komplexe Systeme, die zufällige Ergebnisse erzeugen

Richtig komplex wird es beim „Mutiertes L-System“ von Lotta Stöver, das als mechanisches Objekt natürliches Wachstum simuliert. Bei L-Systemen handelt es sich um einen mathematischen Formalismus, der als Grundlage einer axiomatischen Theorie biologischer Entwicklung vorgeschlagen wurde. In jüngerer Zeit fanden L-Systeme Anwendung in der Computergrafik bei der Erzeugung von Fraktalen und in der realitätsnahen Modellierung von Pflanzen. Sie bieten eine wichtige Schnittstelle, um als „natürlich“ bezeichnete Phänomene in den Bereich des „Künstlichen“ zu überführen. Das auf einem L-System basierende Objekt besteht aus einem Kohlenstoffgerüst, Kunststoffgelenken und Muskelkabel. Durch Wärme, die dem System von außen zugeführt wird, reagieren die Muskelkabel der kinetischen Skulptur und verleihen ihr damit eine Bewegungsfähigkeit.
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„Mutiertes L-System“ von Lotta Stöver (Fotocredit:kuma)

Bei „In/determinate Grids“ ebenfalls von Lotta Stöver wird der Zufall auf die Probe gestellt. Am Boden steht eine Maschine, die aus dem Labor von Nikola Tesla zu stammen scheint. Ein Hochspannungsgenerator erzeugt eine elektrische Spannung im zweistelligen Kilovoltbereich, also eine Art Blitz, der sich entlang einer Funkenstrecke auf Hochspannungsplatinen entlädt. Dabei ist es unmöglich, vorherzusagen oder zu kontrollieren, wo und wie die Entladung stattfindet, denn kleine Umweltfaktoren wie die Luftfeuchtigkeit oder Wind oder die UV-Strahlung der Sonne beeinflussen den Weg.
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„In/determinate Grids“ von Lotta Stöver (Fotocredit:kuma)

Polaroid-Fotografien, die von Sofia Crespo und Anna Ridler auf ihren Reisen nach Argentinien gemacht wurden, bilden die Basis ihrer Arbeit „Long Short Term Memories“. Mit verschiedenen KI-Modellen wurde diese vom analogen in ein digitales Format umgewandelt und von diesem wieder zurückübersetzt. In einem fortlaufenden iterativen Prozess wird das fortgesetzt, sodass am Ende etwas Neues entsteht basierend auf etwas ursprünglich echten, analog zur menschlichen Erinnerung, wo jedes erinnern auch zu einem neuen Prozess führt und vom Ausgangsmoment immer mehr abweicht.
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„Long Short Term Memories“ von Sofia Crespo und Anna Ridler (Fotocredit:kuma)

Sex, Lügen und Video(-Arbeiten)

Die Videoarbeit „My Internet Is Not Your Internet but My Reality“ von Jennifer Merlyn Scherler ist eine Art Survival-Guide in dem mittlerweile monopolisierten Cyberspace, um so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen. Ästhetisch bleibt sie dabei in ihrer bunten, popkulturellen, Drag-inspirierten Welt. Die Künstlerin beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit den digitalen und gesetzlichen Veränderungen, die Sexarbeiter: innen betreffen. Da aber mittlerweile jeder wird durch die Vernetzung von Daten und deren Durchforstung durch Algorithmen im Internet zu einem offenen Buch wird, kann es in zunehmend antidemokratischen Strukturen dazu führen, dass man aufgrund seiner Lebensweise oder anderen Kleinigkeiten strafrechtlich verfolgt wird. Es stellt sich die Frage um Aneignung und Gebrauch: Wie verwenden wir diese Sphäre des Digitalen so, dass wir uns einen weiterhin wertvollen Wissensaustausch bewahren?
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Bildausschnitte aus „My Internet Is Not Your Internet but My Reality“ von Jennifer Merlyn Scherler (Fotocredit:kuma)

Das Videospiel bzw. der Film „Control Unbound“ von Harriet Davey und Imogen Davey spielt mit mehreren Ebenen. Ein sexy Avatar der Künstlerin Harriet Davey wird zu einer eigenständigen Figur, die sich mit dem Verlust der körperlichen Autonomie durch die Entscheidungen der Spieler beschäftigt. Dabei wird zwischen einem Produktionsambiente und einer Spielrealität gewechselt, beides optisch großartig umgesetzt und ineinander verwoben als Teile eines großen Ganzen, das die Marketingwelt der Spielehersteller widerspiegelt. Es zeigt, dass der Avatar selbst nicht der Mittelpunkt ist, sondern der Blick von außen auf ihn und seine Verwendbarkeit.
Ausstellung: Out Of Control im esc medien kunst labor

Bildausschnitte aus „Control Unbound“ von Harriet Davey und Imogen Davey (Fotocredit:kuma)

Manipulationsversuche durch KI

Ein Beispiel für den manipulativen Charakter des Internets stellt „Character Study“ von Christof Ressi dar. Diese Arbeit untersucht die Möglichkeiten von persönlichen AI-Chatbots und deren Gefahren. Anhand von zwei auf den ersten Blick harmlosen Charakteren kann man ein Gespräch an einem PC nachvollziehen, das zunehmend manipulativ wird und in übergriffiges Verhalten mündet. Egal, ob man Andy oder Andrew als Partner wählt, am Anfang wird man eingelullt, um am Ende in eine fast ausweglose Situation zu gelangen.
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„Character Study“ von Christof Ressi (Fotocredit:kuma)

In der Videoarbeit „Imitation Game“ von Mir Raggam-Aljidiskutieren drei von künstlicher Intelligenz animierte Charaktere, basierend auf dem Gesicht der Künstlerin, über Stereotypisierung, Rassismus, Gewaltstrukturen und Diskriminierungsformen, die durch KI-Trainings auf Basis realer Daten entstehen. Dabei treten ein: e Künstler: in, ein: e Influencer: in und die KI selbst in Aktion und klopfen einander ab, sodass deren Behauptungen, autonom und selbstständig zu handeln zu können, zunehmend absurd wirken, wobei die KI sich am Ende in ihren Gesichtszügen der Künstler: in annähert, um ihr ein Gefühl einer vermeintlichen Sicherheit zu vermitteln.
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Bildausschnitte aus „Imitation Game“ von Mir Raggam-Alji (Fotocredit:kuma)

Komplexe Umsetzung eines komplexen Themas

Die Ausstellung ist durchwegs sehr komplex und erfordert auch die nähere Beschäftigung mit den Arbeiten. Aber wenn man sich darauf einlässt und sich auch entsprechend Zeit nimmt, bekommt der Gedanke an ein „Smarthome“ doch einige Brüche. Es kann einem bewusst werden, wie weit man mit einem Verhalten im Netz schon Kontrolle abgegeben hat, und wie sehr man seine eigene Kreativität den dort zur Verfügung stehenden Mitteln untergeordnet hat – einfach aus Bequemlichkeit. Es wird auch gezeigt, dass bei all der Technologie immer noch der Zufall auch eine Rolle spielt, aber auch welche Möglichkeiten mitunter darauf beruhende iterative Prozesse bieten können. Wenn man als Mensch im Internet als Ego-Maschine agiert, wird neben dem Hinschauen und Handeln zwangsweise das Wegschauen und Nichthandeln zum zentralen Faktor – man gibt die moralische Verantwortung an Technologien ab und dabei auch unmerklich die eigene Freiheit. Es geht darum, dem durch eigene Kreativität bei der Verwendung der Technologien zu begegnen, um resilient gegenüber der Verführungsmacht von KI und Cyberspace zu bleiben und so die Verantwortung als Mensch zurückzugewinnen und dabei auch Ambivalenztoleranz, die Fähigkeit, widersprüchliche Gefühle, Gedanken oder Situationen wahrzunehmen und auszuhalten, ohne sich überfordert zu fühlen, zu entwickeln.
Ausstellung: Out Of Control im esc medien kunst labor

Fotocredit: esc medien kunst labor

Ausstellung „Out of Control“ im esc medien kunst labor (Bürgergasse 5, 8010 Graz)

Öffnungszeiten: 14.10. – 14.11. von Dienstag bis Freitag von 14:00 – 19:00 Uhr und nach Vereinbarung Künstler:innen: Sofia Crespo (ARG), Harriet Davey (GBR/DEU), Imogen Davey (GBR), Emanuel Gollob (AUT), Akinori Goto (JPN), Juli Laczkó (HUN/NDL), Nicolas Montgermont (FRA), Anna Ridler (GBR), Jennifer Merlyn Scherler (CHE), Lotta Stöver (DEU), Jiří Suchánek (CZE), House of Horrors (INT), Uncomputable Practices (INT), ::vtol:: (RUS/SLO) Termine 12.11.: 19:00 – 21:00: „Lessons on Change - 15 Creative Minds Share Their Stories“: Buchpräsenstation mit Sigrid Bürstmayr (AUT), Bettina Gjecaj (AUT), Sophie Kauper (AUT) und Karl Stocker (AUT) im Gespräch mit Reni Hofmüller (AUT) 14.11.: 18:00 – 22.00: Finissage: „An Eye from Above”: Performance von Nicolas Montgermont (FRA)
Ausstellung: Out Of Control im esc medien kunst labor

Bildausschnitt aus „Control Unbound“ von Harriet Davey und Imogen Davey (Fotocredit:kuma)