Der Mensch als Ressource in Bewegung - festgehalten in Grenzen

Ausstellung: Größtenteils Abgebaut, <rotor>

Text: Robert Goessl - 17.03.2025

Rubrik: Kunst

Credit <rotor>

Die von Nastia Khlestova und Maksym Khodak kuratierte Ausstellung befasst sich mit dem durch kriegsbedingte Migration veränderten Leben und den Erfahrungen von Ukrainer:innen. Dabei taucht ein Paradoxon in Zusammenhang mit Bewegung auf. Während die Künstler:innen nämlich von Ortsveränderung sprechen, geht es zugleich auch um die Erstarrung im eigenen Vertriebensein sowohl im Raum als auch im Geist.

Der erste Raum wird von großflächigen Bildern von Pavlo Kerestey beherrscht. Für ihn hat der Kontakt mit dem Finanzamt in München eine ähnliche Wirkung wie der Kontakt Brennnesseln und Raubtieren, angesichts seiner prekären Lage und seiner finanziellen Unsicherheit: So werden Bilder vom Finanzamt Bildern von wild wuchernden Brennnesseln und abschreckenden Tigern gegenübergestellt als Symbol für eine Landschaft, in der sich Menschen eingeschränkt fühlen.

Pavlo Kerestey: "Friedensbildung Stiftung" / "Finanzamt Pflanzen Deraystrasse" / "Finanzamt Berlin" / "Finanzamt München III" (Credit kuma)

Ein Stein für Europa als Relikt der aufgeweichten Menschenrechte

Als fast unauffälliges kleines Statement mit großer Ursache befindet sich Stanislava Pinchuks Skulptur „Calais – 'Jungle' Terrazzo“ als Teil ihres „Borders“ Projektes mitten im Raum. Während der europäischen Flüchtlingskrise 2015 entwickelte sich in Calais ein Zufluchtsort für mehrere tausend Migrant:innen. Das sogenannte „Dschungel“-Camp, in dem sich eine selbstorganisierte Infrastruktur von Bibliothek bis Friseursalons bildete, wurde im Oktober 2016 von den französischen Behörden zwangsevakuiert, also quasi dem Erdboden gleichgemacht. Das ausgestellte Objekt ist Teil einer Serie mit Terrazzoblöcken, Überbleibseln der Zwangsräumung, die nach der Zerstörung des Lagers zurückblieben. Sie symbolisieren „Migrantenmüll“ als einen Wert, der uns an die Bedeutung der „europäischen Werte“ und deren „Anpassungen“ im Zusammenhang mit dem Umgang mit Migration erinnern soll als Symbol der pragmatischen Unmenschlichkeit.

Stanislava Pinchuk: "Calais ‘Jungle’ Terrazzo" (Credit kuma)

Ein Zurückbleiben im Schrecken

An die Verletzlichkeit und Ohnmacht der Zivilbevölkerung im Krieg erinnern Kateryna Lysovenkos Zeichnungen, in der Menschen zu Schnecken geworden sind, zu verschreckten und langsamen Kreaturen, die auf ihren lädierten Körpern ihre Häuser auf dem Rücken tragen. Sie sind gefangen in einer Spirale des Todes, aus der es kein Entkommen zu geben scheint. Die Arbeiten sind in Reaktion auf die neue Phase des Krieges zwischen Palästina und Israel und dem anhaltenden Krieg in der Ukraine entstanden. Sie zeigen als kleine Objekte im großen Raum die Bedeutungslosigkeit der einzelnen, ums Überleben kämpfenden Menschen im Rahmen großer Konflikte.

Kateryna Lysovenko: "Ohne Titel 1-2" (Credit kuma)

Eine Reise in die Absurdität eines Krieges

Der zweite Raum ist zur Gänze Vova Vorotniovs gewidmet. Er unternahm 2017 eine Wanderung durch die Ukraine, in der er eine Kohleprobe aus der im Westen des Landes liegenden Bergbaustadt Tscherwonohrad nach Lyssytschansk im Osten führte. Der Schlusspunkt der Reise war die Überführung der Kohle in die Sammlung des Lyssytschariskij-Museums für Heimatkunde, womit der Kohleklumpen durch diesen Transport einen Mehrwert erhielt. Nachdem der Ort mittlerweile von russischen Truppen besetzt ist, ist der Verbleib des Objekts derzeit unbekannt. Die Reise, die auf dem Instagram-Profil @zasxid dokumentiert wurde, wird in Form von Dokumenten, Fotos, Kuriositäten und Videos als Installation eines „Kabinett des Reisenden“ im Raum sichtbar gemacht. Sie wurde durch neue Objekte, die im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg stehen, ergänzt und spiegelt in ihrer Absurdität die Situation und die Unsicherheit in der Ukraine, die durch den russischen Angriffskrieg ausgelöst wurde, wider.

Vova Vorotniov: "Kabinett des Reisenden" (Credit <rotor>/kuma)

Gestrandet in der Vorhölle vor dem vermeintlichen Paradies

Lia Dostlieva und Andrii Dostliev reflektieren in ihrer Installation „An unduly restrictive View of Salvation (Vinnytsia Limb)“ die Situation von in der zentralukrainischen Kleinstadt Winnyzja gestrandeten Flüchtlingen aus Somalia. Dort zum Warten verdammt in einer Art Vorhölle, versuchen sie in Form von Fotodrucken und Videos den Gefühlen der Flüchtlinge nachzuspüren. Die Fotodrucke wirken fast schon biedermeierlich, in dem sie das Wohnungsinterieur auf Tapetenhintergrund mit Uhren und anderen Alltagsgegenständen aber auch mit Postkarten von westlichen Städten als Vorstufe zum „europäischen Paradies“ leicht verschwommen abbilden als eine Art passiv-aggressiver Normalität. Im Gegensatz dazu stehen die Videos, in denen die Flüchtlinge von ihrer Unsicherheit und ihrem Überlebenskampf in ihrer mehr oder weniger geduldeten Illegalität und der damit verbundenen Abhängigkeit, die auch immer wieder ausgenutzt wird, berichten.

Lia Dostlieva & Andrii Dostliev: "An unduly restriktive View of Salvation" (Credit kuma)

Ein Staat mit Hürden

Vira Hanzha beschreibt mit ihren „Non-Degree Diploma“- Zeichnungen ihre Erfahrungen als Gaststudentin an der Universität für angewandte Kunst Wien. Die Digitaldrucke konkretisieren ihre Begegnungen mit der Bürokratie der staatlichen Institutionen, die sie mit grafischen Darstellungen der Poesie des Alltags und Gesprächsfetzen mit Unbekannten ergänzt. So ergibt sich das Bild eines Lebens, in dem zwar vorübergehender Schutz und der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu sozialen Absicherungen geboten wird, aber die unter Schutz stehende Person in einer prekären Situation einer Bürokratie ausgeliefert zurückgelassen wird.

Vira Hanzha: "Non-Degree Diploma" (Credit kuma)

Das Scheitern der Rückeroberung von Kunst im Krieg

In „Deoccupation of the Village of Blagodatne” gibt Yehor Antsyhin einen Ausschnitt aus einem von den ukrainischen Streitkräften gedrehten Video wieder. Das Gemälde dokumentiert den Abschluss einer erfolgreichen Gegenoffensive und das Hissen der Nationalflagge in der Region Donezk, doch verliert sich die ukrainische gelb-blaue Flagge im graubraunen Schmutz des „schlechten Bildes“ und so scheitert der Versuch, ein heroisches Gemälde zu schaffen. Zurück bleibt ein Gefühl der Ohnmacht als Unfähigkeit eines Künstlers vom fernen Ausland aus, die Ereignisse in seinem Heimatland zu beeinflussen und des Scheiterns von Kunst angesichts der Realität eines Krieges.

Yehor Antsyhin: "Deoccupation of the Village of Blagodatne" (Credit <rotor>)

Das Spiel mit Symbolen als universelle Bildsprache

Lucy Ivanovas Serie „How to explain the World to a Newborn“ reflektiert das ukrainische Phänomen „Jovtoblakyt“ (Gelb-Blau): Aus Anlass des russischen Einmarsches 2022 begannen User:innen sozialer Medien, unter dem Hashtag #iseeukrainianflag melancholische Fotos in den Farben der ukrainischen Flagge zu posten als Möglichkeit in einem besetzten Land die Verbindung mit dem Heimatland aufrechtzuerhalten. Die beiden ausgestellten Bilder sind Teil einer größeren Serie, in der die Künstlerin Neugeborenen mit einer universellen Bildsprache und den Farben Blau und Gelb die Grausamkeit der Welt in einfacher Symbolik zeigen möchte. Sie versucht damit auch die Realität der Kinder in der im Krieg befindlichen Ukraine zu beschreiben.

Lucy Ivanova: "Jovtoblakyt 1-2" (Credit <rotor>)

Die Einsamkeit der Künstler:innen im Exil

In ihrem 10-minütigen Video „Trumpets of the final Day“ verbindet Diana Fedoriaka die Geschichte des selbsternannten Genies und berühmten ukrainischen Künstlers Ivan Marchuk mit der eigenen Geschichte ihrer eigenen Flucht. Sie verwendet dabei Ausschnitte aus dem 1998 entstandenen Dokumentarfilm „The Voice of my Soul“ über den Künstler, bei dem Oleksandr Koval Regie führte. Darin spricht Marchuk über die Suche nach seinem Platz in der Welt, und von einem Land, von dem er träumt, das er porträtiert und das er in der Emigration vermisst. In einem kritischen Dialog mit der Figur des Künstlers voller Störgeräusche zwischen Himmel und Erde, Feuer und Rauch und Geburt und Tod untersucht sie die Erfahrungen zweier Kunstschaffender mit Migrationshintergrund, die beide in Österreich leben zwischen Weite und Einsamkeit und Heimatverklärung und nostalgischer Romantik.

Diana Fedoriaka: "Trumpets of the final Day" (Credit <rotor>)

Die Tragödie eines Krieges zwischen Angst und Patriotismus

Oleh Perkowsky widmet sich in zwei Werken dem derzeitgen Status der wehrfähigen Bevölkerung der Ukraine. In „Shayanska“ und „Luzhanska 7“ aus der Serie „Mineral waters of Zakarpattia“ wirken die Bleistiftzeichnungen wie eine Ansicht der Karpaten, des Grenzgebirgszuges zwischen der Ukraine und den EU-Ländern. Tatsächlich sind diese Landschaften erfunden und es handelt sich dabei um Etiketten von Mineralwasserflaschen, deren Intention, Ruhe und Entspannung zu vermitteln, im Gegensatz zu der Wahrnehmung der Landschaft von ukrainischen Männern steht, die das Gebirge illegal überqueren wollen, um sich dem Militärdienst zu entziehen. Im Video „I live in Ukraine“ stellt der titelgebende wiederholte Sprechgesang die Tatsache fest, dass sich der Künstler innerhalb der territorialen Grenzen des Staatsgebiets befindet. Das kann als Zurschaustellung von Patriotismus gelesen werden, aber auch als verzweifelt-obsessiver Versuch, die Lebensumstände zu akzeptieren. Der Künstler gehört derzeit den ukrainischen Streitkräften an und hat daher das Recht, die Landesgrenze zu überschreiten, anders als die Mehrheit der männlichen Bevölkerung der Ukraine. Im Video verschmilzt er mit der Natur, wird Teil der Landschaft und verkörpert die Untrennbarkeit eines Bürgers der Ukraine von seinem Land und dessen Erde.

Oleh Perkpwsky: "I live in Ukraine"/"Luzhanska 7"/"Shayanska" (Credit kuma)

Der Versuch einer Kontaktaufnahme in Zeiten des Krieges

Im Lichthof stellt Anastasiia Leliuks Arbeit eine Wohnung dar, mit Couch, Fernseher und der symbolischen Figur ihrer Großmutter, die auf den Fernseher blickt. Sie nimmt dabei Bezug auf eine Ausstellung, die sie 2017 im Kinderzimmer ihrer Heimatstadt, die seit 2014 von Russland besetzt ist, organisiert hat, wobei das bei der Ausstellungseröffnung gedrehte Video in Dauerschleife auf dem Fernseher vor der Figur ihrer Großmutter läuft. Die Werke von befreundeten Künstler:innen aus Kiew schmuggelte sie dazu durch mehrere Kontrollpunkte in die besetzte Ostukraine, im Bestreben, eine Verbindung zu ihrer einstigen Heimatstadt aufrechtzuerhalten. Der russische Angriffskrieg 2022 machte dann aber jegliche Verbindung unmöglich, und so befindet sich auch ein überdimensionaler Brief an die Großmutter im Hintergrund. Diese ist als eine Art Aufschrei zu verstehen, als Versuch verzweifelt eine Kommunikation aufzubauen, die zwar von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann, aber nicht von ihrer Großmutter. Denn diese hat weder Zugang zum Internet noch zum ukrainischen Mobilfunknetz und weigert sich, ihre Stadt zu verlassen. So hinterlässt diese Installation das Gefühl einer Hilflosigkeit durch den Krieg getrennten Verbindungen zu Menschen und Orten, die einem etwas bedeuten, aufrechtzuerhalten.

Anastasiia Leliuk: "The Waiting Area is currently occupiued" (Credit <rotor>)

Die Überschreitung von Grenzen als Superheldin

Alina Kleytman, deren einminütiges Video „The Border“ bezeichnenderweise auf dem Weg zur Toilette zu sehen ist, beschreibt darin die Absurdität eines Grenzübertritts in einer Zugtoilette. Als „Super A“, eine Superheldin mit Superkräften in entsprechendem Kostüm, benutzt sie den klaustrophobischen Raum einer Eisenbahntoilette als Übungsplatz für eine Schmuggelmission. Zum fragmentierten Soundtrack von „Die Antwoord“ und den panischen Kommandos der Schaffnerin befreit sich Super A von den Einschränkungen, die das Überqueren der Staatsgrenze ihrem Körper aufbürdet. Sie uriniert verwegen in den Sanitärbereich, versteckt das gewaschene Schwarzgeld in ihrem Körper, frischt vor dem Spiegel ihr Make-up auf und sorgt dafür, dass sie gut aussieht. All das geschieht in perfekter Abstimmung und atemberaubender Geschwindigkeit in eindringlichen Bildern.

Alina Kleytman: "The Border" (Credit <rotor>)

Das Ende einer Welt, so wie wir sie kennen

Die Ausstellung beschreibt eindringlich zwischen Kampf, Ernüchterung und Hoffnungslosigkeit, das Ausgeliefertsein in einer Welt, in der die Macht über dem Recht steht, und in der die einzelnen Menschen zunehmend unter Druck geraten. Bisher gültige universelle Werte haben plötzlich keine Bedeutung mehr und man verbleibt in einer Welt nahezu auf sich allein gestellt, dorthin man flüchten konnte oder wo man in einem Kriegszustand bleiben musste. Der Verlust der Heimat wird verbunden mit dem Verlust von Sicherheit, Wohlstand und dem Gefühl, wo man sich immer auch befindet, nicht willkommen zu sein. Man ist gefangen in einem mehr und mehr festungsgleichen Europa, das überfordert von seinen eigenen Werten diese Stück für Stück bereit ist aufzugeben. Zwischen einer rastlosen Ratlosigkeit werden ständig neue Mauern und Grenzen gesetzt in der Hoffnung, für das jeweils ansässige Volk den Wohlstand und ein Gefühl der trügerischen Sicherheit irgendwie aufrechtzuerhalten. Doch sind die Verluste, die in der Ausstellung ständig sichtbar gemacht werden, allgegenwärtig und können nur mehr dadurch emotional abgemildert werden, indem andere größere Verluste erleiden. In diesem Sinn ist auch der Titel der Ausstellung als gegenwärtiges Motto der Entsolidarisierung und dem Abbau der Menschenrechte zu verstehen und einer Bewegung, die von der Gemeinschaft weg zum rücksichtslosen Wohl des einzelnen auf Kosten anderer führt.

Lia Dostlieva & Andrii Dostliev: "An unduly restrictive View of Salvation" (Credit kuma)

Ausstellung: Größtenteils abgebaut zu sehen noch bis zum 24.05.2025 Öffnungszeiten: Mo–Fr 10:00–18:00 Uhr Mi bis 22:00 Uhr Sa 12:00–16:00 Uhr An Sonn- und Feiertagen geschlossen Ort: < rotor > Zentrum für zeitgenössische Kunst, Volksgartenstraße 6a, Graz Beteiligte Künstler: innen: Yehor Antsyhin • Lia Dostlieva & Andrii Dostliev • Diana Fedoriaka • Vira Hanzha • Lucy Ivanova • Pavlo Kerestey • Alina Kleytman • Anastasiia Leliuk • Kateryna Lysovenko • Oleh Perkowsky • Stanislava Pinchuk • Vova Vorotniov Kuratiert von: Nastia Khlestova & Maksym Khodak

Oleh Perkowsky: "I live in Ukraine" (Credit kuma)