Arbeitsleben von Frauen einst und jetzt im ARTist’s

„Salzzuckerl“, Christine Teichmann und Theater Kaendace

Text: Lydia Bißmann - 23.03.2023

Rubrik: Theater

Credit: Theater Kaendace

„Salzzuckerl oder wir pflegen unseren Notstand“ ist eine weitere Zusammenarbeit der Autorin, Slam Poetin und Kabarettistin Christine Teichmann mit dem Theater Kaendace. Sie hat das Zweipersonenstück geschrieben, das von Alexander Mitterer inszeniert und im März im ARTist’s uraufgeführt wurde.

Das Stück „Salzzuckerl oder wir pflegen unseren Notstand“ ist für zwei Personen konzipiert, von denen eine aber fast durchgehend zum Schweigen gezwungen ist. Dragana Avokadovich gibt die Rolle der 24-Stunden-Pflegerin aus Osteuropa, die den betonhaften Redeschwall der Enkelin ihrer Anvertrauten erträgt, ohne das maskenhafte Lächeln nur eine Sekunde zu verlieren. Ihre Selbstdisziplin und ihre hilflosen Bewegungen, wenn sie minutenlang mit einem Müllbeutel in der Hand herumsteht und nicht weiß, wohin mit dem Unrat, tut beim Hinsehen fast körperlich weh. Selten war so wenig Aktion so viel auf einer Bühne, vor allem, wenn man die vitale und quirlige Schauspielerin aus anderen Stücken wie dem Klimastück „Wetterbericht, oder wir tanzen die Thunberg“ kennt. Nur manchmal darf sie Balkan-Gassenhauer singen. Nur solange, bis sie von Teichmann mit Volksliedern überstimmt wird.

Credit: Theater Kaendace

Eine vererbte Oma

Christine Teichmann glänzt in all ihren Facetten als Komikerin und Poetry Slammerin im mitreißenden und trotz der zwei Stunden keine Millisekunde langweiligen Monolog über die Lose-lose-Situation von Frauen. Scheinbar mühelos nimmt sie das Publikum mit auf ihre Erzählung, die nicht nur das tragische Einzelschicksal einer ausgebeuteten Magd, sondern auch ein riesiges Stück österreichischer Zeitgeschichte vermittelt. Die über hundert Jahre alte Frau, die noch bis ins hohe Alter schuften musste, von Männern wie Frauen gleichermaßen körperlich und seelisch missbraucht, wird nach dem Tod ihres Sohnes an dessen Tochter “vererbt”. Ihre Enkelin (Christine Teichmann) rettet sie vor der bevorstehenden Verwahrlosung in einem Altenheim und überlässt sie der Obhut einer 24-Stunden-Kraft. Jenen Arbeitnehmerinnen, die sich für sehr wenig Geld unter das Dach ihrer Arbeitgeber*innen begeben, um dort für wenig Geld und noch weniger Rechte (als Selbständige gibt es für 24-Stunden-Pflegerinnen weder Arbeitszeiten noch Urlaubs- oder Krankengeld) wertvolle Care-Arbeit leisten.

Credit: Theater Kaendace

Bedrückende Eloquenz

Mit feinen Spitzen, großartigen Wortwitzen und herrlich komischen Vergleichen („Sex am Dixiklo hat mit Liebe so viel zu tun wie die ÖVP mit christlich-sozialen Werten“) zeichnet Christine Teichmann das Bild einer passiv-aggressiven Person, die sich, angereichert mit viel Weisheit des Bildungskleinbürgertums und der flexiblen Neutralität der österreichischen Seele, durch das Leben laviert. Trotz der ekelhaften Besserwisserei, der fehlenden Empathie und der nervtötenden Ausweicherei in allen moralischen Konflikten, verleiht sie ihrer Figur im Laufe des Stückes dennoch Empfindsamkeit und Menschlichkeit. Wie so viele von uns scheitert sie am Tod und am bedingungslosen Verzeihen – schafft es nicht, sich dazu zu überwinden, auf das Begräbnis ihrer Eltern zu gehen. Sie weiß genau um das moralische Dilemma, das die Fürsorge der einen, die Ausbeutung der anderen mit sich bringt und akzeptiert es nicht nur aus pragmatischen Gründen. Das macht die Figur, deren ambivalente Rolle als Berichterstatterin und irgendwie auch Täterin Christine Teichmann, nicht nur bravourös, sondern mehr als exzellent gelungen ist, so plastisch und trotz aller Unsympathien doch greifbar. Hintergrundinformationen zur rechtlichen Situation und dem Arbeitsalltag von 24-Stunden Pflegerinnen lieferte dafür die IG24 – Interessengemeinschaft der 24H-Betreuer_innen. Das durchdachte Bühnenbild von Sonja Kreibich untermalt mit weißen Tüchern und spartanischer, aber gut gewählter Dekoration die Stimmung des Stückes. Selten wurde so ein großes, schmerzhaftes Thema so innig und trotzdem leichtfüßig auf eine Bühne gebracht. Unbedingt hingehen und anschauen! Infos und Termine zu Theater Kaendace Produktionen