Kommentar: Florian Traussnig

Leben wir im Zeitalter des Killerclowns?

Text: Florian Traussnig - 17.11.2022

Rubrik: Kommentar

FOTO AUS DEM JAHR DER „EVIL CLOWN SIGHTINGS“ (2016) FOTO: WIKIMEDIA COMMONS

In dieser Kolumne, erschienen in der Programmzeitung des KULTUM, blickt Kurator Florian Traussnig nicht auf eine intellektuelle Biografie, sondern auf eine kulturell stets aufs Neue auszuverhandelnde Figur, eine Rollenzuschreibung, die einerseits auf der historischen Harlekin-Tradition fußt, andererseits von vielen Zeitgenossen, die politische Verantwortung tragen, destruktiv interpretiert und gespielt wird: den so genannten bösen Clown, auch Killerclown genannt. Warum in uns allen so ein wilder August steckt, aber wir ihm nicht heillos ausgeliefert sind, erfahren Sie hier.

Als Ende des Jahres 2016 jenes Video auftaucht, indem ein US-Präsidentschaftskandidat darüber sinniert, wie leicht man als männliche Berühmtheit Frauen „by the pussy“ berühren kann, denke wohl nicht nur ich, dass dies ihm politisch das Genick brechen wird und der „freie Westen“ – vorerst – gerettet ist. Was für ein armseliger Clown! Ebenfalls Ende 2016 häufen sich in den USA Sichtungen von so genannten Killerclowns. Also von als Horror-Harlekins verkleideten Figuren, die herumlaufen und Menschen erschrecken.

Historiker und Kurator Florian Traussnig. (Credit: unreifundtaube.at)

Mörderische Krisenikone

Die zwei Phänomene scheinen sich zu kreuzen, als der böse Polit-Clown Trump meiner Naivität zum Trotz ins Weiße Haus einzieht, um von dort vier Jahre lang ebenso groteske wie spalterische Sentenzen in die Welt zu setzen. Nun fielen mir auch die Killerclowns auf den Straßen wieder ein. Der grausame und mörderische Trickster ist offensichtlich zu einer Krisenikone geworden. Eine mögliche Herleitung für den Begriff Harlekin ist „Höllenkönig“, (h)ellechin(n)o. Der König höllischer Heerscharen? Die anarchischen – teils einfallsreich verkleideten – Horrorscherzbolde auf den Straßen, diese Killerclowns „von unten“, die von den humorlosen (Covid-)Verschwörungstheoretikern der Jahre 2020ff. wohl nichts wussten, sind mittlerweile längst von halblustigen Politikern, also den bösen Clowns „von oben“, überholt worden. Und ausgerechnet einer der großen Proto-Harlekins, der italienische pagliaccio Silvio Berlusconi, überzieht seit 2019 den Parlamentarismus wieder mit seinem Dauergrinsen. Der böse Clown – eine Signatur unserer Zeit?

Halbwertszeit der Halblustigen

Diese Harlekinologie verdient allerdings eine differenzierte Betrachtung. Studiert man etwa die Politik des nunmehrigen italienischen Senators Berlusconi, dieses Clowns „von oben“, so sieht man einen heute einen wirtschaftsliberalen Rechtskonservativismus, der zwar rechtspopulistisch angehaucht und vom erratischen Starrsinn eines alternden Scharlatans durchzogen, aber de facto zweitrangig und nicht mehr völlig irrlichternd ist; in Großbritannien wiederum befindet sich der pseudovolkstümlich polternde Populist Boris Johnson im Fade-Out-Modus; und der Trickster Trump himself ist momentan ein zorniger, aber teilweise isolierter Privatier. Bei den Killeclowns „von unten“ sieht es mit der Halbwertszeit nicht viel anders aus: die (heute fast putzig wirkenden) Anarcho-Clowns auf der Straße machen kaum mehr Schlagzeilen; die marodierenden Horrorgestalten des 6. Jänner 2021 in den USA werden humorlos ins Gefängnis geschickt; die europäischen Corona-Kauze haben mit der Pandemie ihre gnostisch-diabolische Energiequelle verloren. Lustig waren sie nie.

Einfühlsame Narren und ihre Biersprüche

Wenn der Soziologe Andreas Reckwitz mit Blick auf Impfgegner und Verschwörungsgläubige und böse Clowns aller Art beklagt, dass es auf unseren Straßen heute „irritierende Anomalie[n] für den Fortschrittsoptimismus“ gibt, dann sollte man die historisch fest verankerte dunkle Seite des Harlekins/Clowns erwähnen: „[T]hese were characters who reflected a funhouse mirror back on society“ (David Kiser). Der Harlekin, so der Filmemacher Harald Aue, ist „[e]ine zwiespältige Figur, die Gegensätzliches in sich vereint, unberechenbar und sexuell aufgeladen ist. In der Aufklärung verbannte man diese Figur von den Bühnen und spaltete sie in den Weißclown und den August. Der eine, der Apollonische, hat die Kunst und die Sprache, der andere, der Dionysische, ist wild und unberechenbar. Es sind die zwei Seiten einer Münze.“ Der wilde Clown war also immer schon da. Je mehr er verdrängt wird, umso garstiger zeigt er seine böse Seite. Der närrische „Bierpartei“-Gründer und Impfarzt Dominik Wlazny, der bei der österreichischen Präsidentschaftswahl vor kurzem den dritten Platz errungen hat, scheint beide Seiten zu vereinen: Dem wilden Hedonismus seiner bierseligen und tätowierten Kunstfigur zum Trotz sprach er sich für Klimaschutz, Solidarität mit der Ukraine und Rationalität aus – und setzte als junger Kandidat „von unten“ dem Establishment (gewaltfreie) Anarchie entgegen. Ob er eine politische, gar intellektuelle Größe im Land werden wird, ist freilich ungewiss bis fraglich, aber es zeigt sich: Der von Vielen gehegte Wunsch nach einem kathartischen Aufbrechen des „Systems“ muss nicht zwingend durch einen narzisstischen Killerclown erfolgen. Kein clowneskes Zeitalter ist also auszurufen. Ein entspanntes Prost! reicht voll und ganz.