“Glückliche” Körperzellen in Oberzeiring

Kritik: Zauberberg im THEO

Text: Sigrun Karre - 15.02.2023

Rubrik: Theater

THEO

Das Theater Oberzeiring hat sich für den Jahresstart Großes vorgenommen, nämlich die Essenz von Thomas Manns Ü1000-Seiten-Roman „Der Zauberberg“ auf die THEO-Bühne zu bringen.

Dazu wurde das literarische „Personal“ von Regisseur Holger Schober auf vier Protagonist*innen reduziert: Die Schauspieler*innen empfangen das Publikum bereits beim Betreten des Theaters aus der Horizontale als Sanatoriumsgäste. Mit Bademänteln und Coolpack-Masken ausgestattet, üben sie sich in der Kunst des Müßiggangs und des gepflegt-neurotischen Krankseins.  Krise, Krankheit und Krieg bilden in Thomas Manns „Der Zauberberg“ das Grundrauschen, was 100 Jahre später auf fast unheimliche Weise potenziell eine noch tiefere Lesart des Textes ermöglicht. Auf der Bühne des THEO wird beim Zauberberg gleich zum Einstieg – wie es sich für den Schauplatz Lungenheilanstalt gehört – so ausgiebig gehustet, dass es knapp nach dem Ende der Coronapandemie immer noch kurze Flashbacks provoziert. Vier Holzliegen werden vor alpinem Panorama zum zentralen und multifunktionalen Bühnenmöbel. Das Licht funktioniert als „roter Vorhang“ in Zeitraffer, es schneidet immer wieder harte Cuts in die sich anbahnende Mischkulanz aus Realität und Traum. Musikalisch reicht das Repertoire vom esoterischen Körperzellen-Rock („Jede Zelle meines Körpers ist glücklich“) der in verschiedenen Cover-Versionen als ironischer Titelsong mehrfach zum Einsatz kommt, über Landdisko-Hits inklusive überdreht performter Faschingspolonaise bis zu den Elektrotango-Klängen von Gotan Project. Bevor der Text sich entfalten kann, wird er bereits von der nächsten Ohrwurm-„Gaudi“ abgewürgt. Nachdem man sich schon an die überraschende Idee gewöhnt hat, einer Komödien-Version des Mann-Klassikers beizuwohnen, muss man auch diesen Gedanken verwerfen. Im Verlauf der Inszenierung entwickelt sich das Eindeutige und schwankhaft Überzeichnete mit zunehmendem Einsatz der Nebelmaschine in Richtung skurriles Verwirr-Drama. Nicht zuletzt aufgrund zweier Thomas-Mann-Monologe über keine geringeren Themen als Liebe und Tod. Ein überraschender Verlauf. Kleine zwinkernde Links zu den aktuellen 20er-Jahren gibt’s auch: Der medienwirksame Sager eines kürzlich verflossenen Kanzlers wird mit Mehrwert platziert und Sanatoriums-Arzt Dr. Behrens wird beim THEO-Zauberberg zur Frau Doktor, dargestellt von Sigrid Sattler, die sichtlich lustvoll alle Klischees vom alten weißen Mann zu erfüllen weiß. In den weiteren Rollen Christian Krall als vom Liebestaumel und Zeitverlust desorientierter Hans Castrop, ein hochpräsenter Christian Eigner als sein Vetter Joachim Ziemen sowie Julia Faßhuber alias Madame Chauchat als unerreichbare Femme fatale. 

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