Ausbeutung als natürliches System einst und jetzt voller unbequemer Wahrheiten

Kritik: Unterhaltung - ein Sozialdebattl, Christine Teichmann

Text: Robert Goessl - 02.12.2024

Rubrik: Theater
Kritik: Unterhaltung - ein Sozialdebattl, Christine Teichmann

Credit: Foto: Martin Schneider, privates Archiv, Sujet: Daniela Hinterreiter

Christine Teichmann erzählt in ihrem neuen Kabarettprogramm eine entlarvende, oft zynische Geschichte der Ausbeutung. Sie spannt den Bogen von der Vergangenheit bis in die Gegenwart und zeigt dies am Beispiel einer Frau, die im Immobilienbereich arbeitet. Obwohl sie politisch eher links steht, ist auch sie nur ein Zahnrad im System der Ausbeutung.

Ein vermeintliches Gespräch mit der neuen Pflegerin ihrer Oma beginnt harmlos mit der Ansprache des Publikums, als säße diese dort. Die Immobilienmaklerin Erika will nur das Beste für ihre über 100-jährige, an Demenz leidende Oma. Ihr Körper ist von harter Arbeit am Land gezeichnet. Zeit ihres Lebens wurde sie ausgebeutet, von Hof zu Hof geschoben und in vielerlei Hinsicht missbraucht.

Die Wahrheit über das einstige Leben am Land

Dabei taucht sie erzählerisch in eine Vergangenheit ein, in der Nostalgie der grausamen Realität weicht. Sie zeigt die alltägliche Gewalt und deren Weitergabe an die nächste Generation. Das triste Leben von Mägden und Knechten sowie den Minderwert der Frau in alten Traditionen. Es ist eine Geschichte über Macht und Missbrauch in der Hierarchie der Leibeigenschaft, die trotz ihrer Abschaffung als gesellschaftliche Struktur im bäuerlichen Leben fortbestand. "Und bei uns als Gesinde am Land war es dir sowieso scheißegal, ob Kaiser, Bundeskanzler oder Ständestaat, weil über dein Leben bestimmt hat der Bauer und der Pfarrer."
Kritik: Unterhaltung - ein Sozialdebattl, Christine Teichmann

Credit: Harald Pomper

Der Umgang mit den Pflegekräften im Jetzt

Die osteuropäische Pflegerin, das neue Opfer, setzt die Tradition der Ausbeutung fort – als natürliche Folge der finanziellen Umstände. Achselzuckend und um die Ungerechtigkeiten der Agenturen wissend, wird alles als unvermeidlich hingenommen. Zwischen Abfälligkeit, Gleichgültigkeit und Zynismus fallen fast beifällige Sätze. Der Zynismus wirkt oft wie ein Selbstschutz. Es geht schließlich um die Oma, und die Umstände sind, wie sie sind. Diese neue Form der Ausbeutung ist eben normal.

Die Arbeit ruft samt angenehmen Lohngefälle

Immer wieder wird sie durch Anrufe unterbrochen. Die alte Hierarchie ist zwar verschwunden, doch eine neue tritt an ihre Stelle – die des Lohngefälles in der Scheinselbstständigkeit. Statt Pfarrer – Bauer – Gesinde zählt nun die Herkunft: Österreich – Tschechien – Ukraine. Mit unterwürfigem Buckeln vor ihrer wohlhabenden Kundschaft tritt sie nach unten und hält ihre scheinselbstständigen Mitarbeiter auf Trab – ohne Rücksicht auf deren Familien.
Kritik: Unterhaltung - ein Sozialdebattl, Christine Teichmann

Credit: Harald Pomper

Ein System nicht nur in Österreich

Auch so manches Verhalten und so manche Aussagen von politisch Verantwortlichen kommen zur Sprache, aber auch die gesellschaftliche Wahrnehmung zwischen Gleichgültigkeit und Rückzug in die eigenen vier Wände. Es wird damit die Geschichte eines Systems erzählt, von der Euphorie über die offenen Grenzen und der Freiheit des ehemaligen Ostblocks hin zur heutigen wirtschaftlichen Realität. Diese ist nun einmal streng einer kapitalistischen Logik samt der dabei erzeugten Angst vor Wohlstandsverlust inklusive Ressentiments unterworfen, mit der Hoffnung, die unsichtbare Hand des Marktes wird das schon irgendwie regeln. "Im Fremdenverkehr war’s ja auch nicht anders, da hat man zuerst dringend Gastarbeiter gebraucht, dann hat man Angst gekriegt, dass sie einem die Arbeitsplätze weg nehmen und die Löhne ruinieren, dann sind die Löhne derart ruiniert, dass nicht einmal mehr die Ungarn bei uns arbeiten wollen und man wieder halbwegs anständige Bedingungen bieten muss, irgendwann pendelt sich das alles wieder ein."
Kritik: Unterhaltung - ein Sozialdebattl, Christine Teichmann

Credit: Harald Pomper

Der grandiose Text, der von Christine Teichmann auch zutiefst nachvollziehbar auf der Bühne umgesetzt wird, zeigt einen Zustand, der nüchtern betrachtet unhaltbar ist, aber jeden von uns betreffen könnte. Das Programm offenbart eine menschenverachtende Wahrheit, über die man erst nachdenkt, wenn man mit ihr konfrontiert wird. So sehr man auch über die bissig vorgebrachten Schwächen eines Systems der Entsolidarisierung lacht, so sehr sollte man auch verstehen, dass man selbst ein Teil davon ist, wenn man dagegen nicht aufsteht. Absolut sehenswert! "Wissen Sie, ich bin da zutiefst Österreicherin und schließ mich gern dem gesamtgesellschaftlichen windigen Kompromiss an, dass Abtreibung verboten, aber straffrei gestellt ist. So lässt sich doch jedes ethische Dilemma lösen, nicht wahr? Sind wir sicherheitspolitische Trittbrettfahrer oder unterstützen wir militärische Maßnahmen gegen menschenrechts- verachtende Regime? Wir sind neutral! Wollen wir freien Hochschulzugang oder lieber nicht so viel Geld für Studienplätze ausgeben? Mach ma Aufnahmeprüfungen! Sind wir gegen ausbeuterische Produktionsbedingungen oder wollen wir billige Waren aus dem Ausland? Wir führen ein Fair Trade Gütesiegel ein! Sind wir für strenge Arbeitnehmer*innenrechte oder wollen wir leistbare Pflege? Wir machen 24h Pfleger*innen einfach zu Selbständigen!"

UNTERHALTUNG - ein Sozialdebattl

In ihrem aktuellen Programm "UNTERHALTUNG - ein Sozialdebattl" lotet Christine Teichmann die Untiefen unserer Überzeugungen aus und entlarvt gnadenlos, aber mit viel Humor und Augenzwinkern die eigenen Lebenslügen.

Termine und mehr Informationen unter https://christine.teichmann.top/Termine/