Wir müssen nur wollen - oder doch nicht?

Kritik: The Color of B Flat, Zweite Liga von Kunst und Kultur

Text: Robert Goessl - 14.12.2024

Rubrik: Theater

Credit kuma

In dieser von Anna Jurkiewicz und Vera Hagemann konzipierten und gespielten Performance geht es um Rückzug, Müdigkeit und Erschöpfung in der persönlichen Atmosphäre am Dachboden des Volkshauses. Da das Ganze im Untertitel auch als intimes Musical bezeichnet wird, gibt es immer wieder Lieder von Anna Jurkiewitz zu hören, die in den Schlaf wiegen.

Am Anfang überwiegt die Trägheit und Langsamkeit in der intimen Atmosphäre am Dachboden des Volkshauses, beide Protagonistinnen schlafen im Bühnenhintergrund auf ihren Leintüchern. Es herrscht zunächst Dunkelheit und nach dem Aufwachen geht es auch erst einmal ruhig und bedächtig voran. Die beiden Akteurinnen kriechen in den Vordergrund der Bühne und reflektieren flüsternd über das, was so zu machen wäre. „And I have to have to have to...“. Obwohl es noch immer fast dunkel ist, wirkt das Bühnenambiente nicht düster, sondern eher gemütlich und heimelig, vielleicht auch deswegen, weil die Bühne insgesamt nicht so ganz aufgeräumt wirkt. Erleben wir hier eine Pyjamaparty, die eigenartige Wege nimmt?

Credit Karo Just /Kreisbild

Musikalische Andeutungen der Überwindung

Es wird die Bühne bekrochen, man begibt sich auf unterschiedliche Positionen, unauffällig, mit totalen Blacks dazwischen, und taucht unvermittelt woanders auf – zunächst einzeln. Der Fokus wird auf eine der beiden Personen gelenkt, teilweise mit kleinen Lichtquellen, sodass der Rest und auch die andere Person im Dunklen bleiben. Anna Jurkiewicz performt mit einem Mini-Keyboard am Boden schlafliedartige Pop-Songs mit schöner Stimme. Vera Hagemann verliert sich im Flüster-Sprachgesang zwischen Verzerrungen, Loops und Wiederholungen.

Credit kuma

Lebendige Strukturen von Körpern mit Licht und Schatten

Die beiden Akteurinnen bilden miteinander lebendige Skulpturen mit Tüchern, sie umwinden einander, sprechen stets leise oder flüstern sogar. Sie bleiben dabei fast immer in der Horizontale so wird ein Ausdruck der Erschöpfung spürbar, mit kleinen Versuchen des Aufbäumens. Die fokussierten Lichtquellen schaffen dabei eine vergängliche Welt mit wunderschönen Bildern voller Helligkeit zwischen grell-gelbem Schein und magischem UV-Licht mitsamt den dabei entstehenden Schatten und der das Szenario umgebenden Dunkelheit. Dabei entstehen einfühlsame Momente, die zum genauen Beobachten einladen, um sich selbst in diese Umgebung einzufühlen und zu versenken.

Credit kuma

Eine Badewanne voller Licht

Das Leintuch, auf dem beide schliefen, wird nun der Mittelpunkt. In einer lichtdurchfluteten Badewanne wird es gründlich gewaschen. Das passiert mit viel Aufmerksamkeit und Liebe zu Detail. Ebenso wird es dann am Ende zum Trockenen in einer feierlichen Inszenierung in der Mitte des Bühnenvordergrunds aufgehängt, jedoch sind auf ihm nach wie vor die Abdrücke der beiden Körper sichtbar. Wie auf allen anderen Leintüchern, die von Anfang an rund um die Bühne hängen. Es scheint also das Tagwerk vollbracht zu sein. Ein weiteres Objekt als Symbol der Selbstermächtigung zum Nichtstun wurde den anderen hinzugefügt, mit dem Paradoxon, dass genau dieses auf so aufwendige Art und Weise geschehen musste. Womöglich verbirgt sich hinter dem Nichtstun auch eine besondere Leistung.

Credit kuma

Sich erlauben einfach nur einzutauchen

Wer träumt nicht hin und wieder davon, einfach mal nach dem Aufwachen im Bett liegenzubleiben, allen Zwängen des Lebens zu entsagen, sich vor der Welt in die eigenen vier Wände zurückzuziehen? Dieser kontemplative, konzentrierte Abend ist schön und doch irgendwie traurig zugleich. Er beeindruckt optisch mit dem Spiel von Licht und Dunkelheit, in dem sich die behäbigen Bewegungen der beiden Körper einfügen. Die Performerinnen zelebrieren eine Langsamkeit als einen vergänglichen Ausdruck des Zustandes einer Gesellschaft, die angesichts der ständigen Überforderung kapituliert. Man spürt beim Zusehen die Sehnsucht danach, es möge einfach einmal alles für einen Moment stillstehen. In diesem Sinn kann man in dieser Inszenierung eineinhalb Stunden lang wohltuend abtauchen.

Credit Karo Just / Kreisbild