Kugelkind, sternförmig

Kritik: *Sterne*... oder ich bin eine Kugel im Theater am Lend

Text: Sigrun Karre - 19.09.2023

Rubrik: Theater

Credit: Clemens Nestroy

Das Mezzanin Theater war bei NEWSoffSTYRIA , dem Festival der Freien Szene, mit einer gelungenen Produktion über Diversität für Menschen ab 6 Jahren beteiligt.

Auch ohne Hang zu Rankings kommt man nicht umhin festzustellen, zeitgenössisches Kindertheater macht in der steirischen OFF-Szene kaum jemand über Jahrzehnte konstant mit so viel Professionalität, Humor und Fingerspitzengefühl wie das Grazer Mezzanin Theater. In diesem Jahr gab es in der Leitung einen Generationenwechsel, nach über 34 Jahren folgte Natascha Grasser Hanni Westphal als künstlerische Leiterin nach. Sie hat auch bei der neuen Produktion ‚*Sterne*… oder ich bin eine Kugel‘ Regie geführt, die beim NEWSoffSTYRIA Festival Premiere feierte. Das Thema, Identität jenseits von binären Geschlechtssystemen, ist hochaktuell, aber auch nicht gerade risikoarm. Dem Team des Mezzanin Theater ist es aber nicht nur gelungen, nirgends anzustreifen, sondern vor allem ein zauberhaftes Stück für Menschen ab sechs Jahren zu schaffen. Auch für Erwachsene ist das subtil angelegte Theater bis zur letzten Minute fesselnd. Das liegt einerseits am ausgesprochen sensiblen und zugleich frischen Blick für die Entwicklung der Bühnengeschichte, die das Thema in den viel größeren Rahmen von Identitätsspielen stellt und erfahrbar macht, wie Kinder (oder Menschen allgemein) in ihrem Entfaltungsdrang und ihrer Phantasie immer wieder an „erwachsene“ Schubladensysteme stoßen.

Credit: Clemens Nestroy

Schubladenfrust

„Wie es gehört“ soll das „Kugelkind“, die ausgeleerten Schubladen wieder einräumen. Die unbefriedigend beantwortete Frage, wie es denn gehört, führt erst zu Frustration, später aber zu aufschlussreichen Sortierversuchen. Ein Glücksfall sind die zwei Darsteller*innen. Gleich mit der ersten Szene sichern sie sich die volle Aufmerksamkeit des Publikums quer durch alle Altersgruppen mit einer Körperverformungs-Performance, an der auch die originelle Handschrift von Markus Boxler (Ausstattung) Anteil hat. Dass Dominik Jellen als „Kugelkind“ nicht nur Schauspieler, sondern auch Tänzer und Choreograf ist, und Darstellerin Nora Winkler als dessen Mutter, eine gute Sängerin, vor allem aber ein ziemlich gutes Händchen fürs Songwriting besitzt, erzeugt eine hohe Konzentration von Qualiät bei minimalem Bühnen-„Personal“. Wenn die Schüler*innen in den ersten Reihen zu den (unbekannten) Songs mitwippen und Taferlklassler+ 55 Minuten lang aufmerksam die Bühne im Blick haben, ist der Funke wohl übergesprungen. Gelungen ist auch das Ende, das den Gedankenfaden vom Beginn wieder aufnimmt. Nicht nur Keks oder Kuchen stehen zur Wahl, auch Keks und Kuchen, Kaktus und Krokus sind eine Option. Ob eckig oder sternförmig, mit und ohne K wie Kanten, *Sterne*... oder ich bin eine Kugel‘ ist eine ziemlich runde, erfreuliche Theatersache. Regie: Natascha Grasser Regieassistenz/Dramaturgie: Lisa Aigelsperger Produktionsleitung: Caroline Pucher Performance/Choreographie: Dominik Jellen Performance/Musik: Nora Winkler Ausstattung: Markus Boxler Licht/Sound: Thomas Bergner Text Support: Sophie Reyer Beratung: Patricia Deutschmann (RosaLila PantherInnen)

Credit: Clemens Nestroy