Hypermaskuline Selbstermächtigung als Selbstzweck von der virtuellen Welt in die Realität übertragen
Kritik: Sons and True Sons, Total Refusal bei Digithalia
Text: Robert Goessl - 24.03.2025
Rubrik: Theater
Total Refusal verstehen sich als Medien-Guerilla, die populäre Computer-Rollenspiele verwenden, um dort mit künstlerischen Interventionen gesellschaftliche und politische Verbindungen aufzudecken.
Was auf den ersten Blick profan wirkt, entpuppt sich als fundamentierte Analyse von gesellschaftlichen Zuständen, die Erschreckendes zu Tage fördern. In „Sons and True Sons“ wird beleuchtet, inwiefern das Setting des 2019 erschienenen Spiels „Tom Clancy’s: The Division 2“ den realen Vorkommnissen bei der Erstürmung des Kapitols am 6. Jänner 2021 gleicht. Die Live-Gaming-Vorlesung zeigt die Verbindungen zwischen toxischer Männlichkeit und der Abkehr von der Realität in ein virtuelles Narrativ, das nur in der Gedankenwelt der einzelnen existiert, aber in seiner Gesamtheit die Grundfesten des demokratischen und sozialen Zusammenlebens erschüttert.

Fotocredit: Total Refusal
Ein prophetisches Setting eines Spiels
Das Grundsetting des Spiels erinnert, obwohl es 2 Jahre vor der Erstürmung entstanden ist, frappant an diese. Nach einer Epidemie bricht Chaos aus und anarchistische Gruppen haben in Washington die Macht übernommen und terrorisieren nicht nur die lokale Bevölkerung, sondern haben auch den Präsidenten gefangengenommen und das Kapitol übernommen. In diesem befindet sich auch ein antivirales Breitbandantibiotikum, das eine Heilung der Menschen von der Epidemie ermöglicht. Die „True Sons“, eine technisch gut ausgestattete und bewaffnete Truppe von ehemaligen Militärangehörigen nimmt sich der Sache an und hat die Aufgabe, das Kapitol zu befreien, das Heilmittel zu sichern und damit die Ordnung wieder herzustellen.

Fotocredit: Total Refusal
Eine Show zwischen Spiel und Wirklichkeit
Während live gespielt, also geschossen und Deckung gesucht wird, werden die realen Ereignisse der Erstürmung geschildert. Immer wieder tritt jemand der vier auf die Seite und setzt die Vorkommnisse im Spiel mit den realen in Verbindungen und so werden die virtuellen Bilder des Spiels den realen der Erstürmung gegenübergestellt und auch über Hintergründe referiert. Das temporeiche Setting fügt die beiden Elemente perfekt ineinander, sodass bei manchen Bildern fast nicht zu unterscheiden ist, ob sie aus der Realität oder aus dem Spiel stammen. Sowohl im Spiel als auch in der Realität fungiert man als sein Avatar in teilweise absurden Kostümen als Ausdruck einer Leistungsgesellschaft, in der es ebenso nur ums Übertreffen und Gewinnen geht – nahezu als Selbstzweck. Immer wieder bedienen sich Total Refusal dabei auch der Ironie, um diese Absurdität sichtbar zu machen, in dem sie zum Beispiel eine lachende Melanzani als Phallus-Symbol verwenden oder zeigen, aus welcher unmöglich für einen Menschen zu tragenden Waffenvielfalt die einzelnen Kämpfer im Spiel jederzeit zurückgreifen können.

Fotocredit: Total Refusal
Die Absurdität am Ziel zu sein – es dort aber nicht zu finden
Auch werden dabei die Grenzen der Übereinstimmung zwischen Spiel und Wirklichkeit aufgezeigt. Einerseits ist die Ratlosigkeit der Horde, das brave „Erstürmen“ innerhalb der Absperrungen, man ist am Ziel und hat eigentlich keines im echten Kapitol. Denn es fehlt wie im Spiel einfach der finale große mächtige und schwer bewaffnete Gegner, den es zu eliminieren – also zu erschießen – gilt und auch ein die Menschheit erlösendes „Heilmittel“ lässt sich dort nicht finden. Andererseits ist man am Ziel ohne es zu wissen – man hat seinen Zweck im Trumpschen Sinne erfüllt.
Spiel und Wirklichkeit verschwimmen in den Gesetzen des Marktes
Die markttechnische Logik des Spiels von Ubisoft, das formal unpolitisch ist und einfach nur als Unterhaltung für eine möglichst große Zielgruppe dienen soll, hat sich verselbstständigt und wird zu einem Lebenssinn der Selbstermächtigung. Dabei scheint es nur ums Gewinnen zu gehen, um eine persönliche Befriedigung in einer Welt, in der man(n) sich nicht mehr zurechtfindet als weißer Mann. Denn man hat eben nichts anderes gelernt, außer dass man(n) s ich um jeden Preis durchsetzen muss, um für sich einen adäquaten Platz in der Welt zu ergattern. Die Mechanismen des Marktes schaffen so eine Wirklichkeit, die über monetäres Gewinnstreben hinausgeht.

Fotocredit: Total Refusal
Fazit: Die Welt als Wille und Vorstellung des weißen Mannes
In dieser komplexen und dennoch unterhaltsamen hochintelligenten Lecture-Performance wird gezeigt, wozu eine testosterongesteuerte Männlichkeit fähig ist, und das einfach nur aus dem Grund der Selbstermächtigung und ohne irgendwelche Konsequenzen dabei bedenken zu müssen. Wenn man an die absurden Bilder der stolz posierenden Männer vom 6. Jänner 2021 denkt, für die die Realität auch nur eine Spielsituation ist, weil sie sich in der Wirklichkeit verloren fühlen, scheint das einzige Ziel zu sein, zu zeigen, dass sie ihren Status zurückerlangt haben. In einer Welt, in der gefühlte Allmacht eines Präsidenten dafür perfekt als Projektionsfläche für das natürliche Recht des weißen Mannes, kompromisslos und ohne Konsequenzen zu herrschen, taugt, geht es nicht mehr um Fakten. Es geht um das Gefühl, dort zu sein, wo man(n) meint hinzugehören, ohne genau zu wissen, wo oder was das genau ist und wohin es letztendlich führen soll.
Sons and True Sons von Total Refusal
von und mit Susanna Flock, Robin Klengel, Leonhard Müllner and Michael Stumpf
Produziert vom Donaufestival (Krems) 2024 in Zusammenarbeit mit STRP Festival (Eindhoven) 2024
Zu sehen bei den Wiener Festwochen:
am 31. Mai 19:30 im Wiener Funkhaus (alias „Haus der Republik“) als
Trump 2.0 – Special Edition für die Freie Republik Wien