Sehnsuchtsort Clubklo

Kritik: Sex Play, Schauspielhaus Graz

Text: Lydia Bißmann - 17.11.2022

Rubrik: Theater

Credit: Johanna Lamprecht

“Sex Play” ist ein Stück der deutsch-amerikanischen Autorin Patty Kim Hamilton, das im Grazer Schauspielhaus, im Haus Drei Mitte November zum ersten Mal auf Deutsch gespielt wurde.Ein knalliges, aber angenehm sanftes Pop-Art Gemälde einer Generation zwischen Gruppensex und Einsamkeit.

“Sex Play” spielt sich durchgehend in einer Großstadtclubtoilette ab. Dort, wo alles anfängt: wo sich Beziehungen an- und abbahnen, wo der Rausch gestartet wird und ein Spiegel immer wieder Gelegenheit zur Überprüfung des eigenen Ichs gibt. Gekonnt treten die Darsteller und Dastellerinnen immer wieder vor die imaginäre Fläche, hinter der eigentlich das Publikum sitzt, schminken sich, richten sich den BH oder überprüfen ihr Lächeln. Von hinten wummern gedämpft die Beats, von vorn kommt der Disconebel, der sich süßlich zuckrig mit jeder Menge Lysoformspray mischt. Hier wird ein Tinder-Date zu Fleisch und Blut – das Lagerfeuer, der Ort für Rapport und Selbstreflexion ist immer die Toilette. Es wird gelacht, geweint, Seelenmüll verbreitet, gekotzt und gekokst. Kathrin Eingang hat das Bühnenbild, samt seiner zerknüllten Papierhandtücher, den bekritzelten Wänden, den geheimnisvollen Kabinen mit der barock anmutenden Blumentapete, durch die die Bühne verlassen und betreten wird, wunderbar nah am echten Leben angesiedelt.

Der Spiegel als Ort der Selbstreflexion. ( Credit: Johanna Lamprecht)

Planlose Heros

Lisa Birke Balzer, Maximiliane Haß, Sebastian Pass, Alexej Lochmann und Aleksandra Ćorović wurden von Jenny Theisen in halloweenartige Verkleidungen als Kostüm gesteckt. Als supertaffe und gleichzeitig sehr verletzliche Pailletten-Cruella de Vil, rabiates Schulmädchen, hyperaktiver Jersey-Batman, Grunge-Pippi Langstrumpf und knallgelber Glitzer-Smile erzählen sie Geschichten, die allesamt um das Thema Sex kreisen. Aus Pissoirs, die an einer Poledancestange befestigt sind, langen sie dabei ständig nach Popcorn – der Nahrung der Zuseher. Der Sex selbst ist aber eher Nebensache in den Gesprächen. Es geht um Ängste, Wünsche, Fantasien, falsche Vorbilder und echte Freundschaft. Patty Kim Hamilton ist es gelungen, den Ton und das Wording der urbanen Club-Kids zu treffen, die zwischen Inszenierungszwang, Planlosigkeit und echtem Mitgefühl lavieren. Treffsicher formulieren sie Situationen wie das schlechteste Date, das Liebesspiel mit einem gut bestücktem Lover, den Wunsch nach einer Orgie oder einfach Abstinenz. Schnell verlieren sie die Orientierung, wenn es ums Eingemachte geht. Um Gewalt, den Umgang damit, das lästige Narrativ von Opfern und Tätern, von Ohnmacht und schlechtem Gewissen. Um das, was man wollen oder denken soll oder darf.

Credit: Johanna Lamprecht

Licht und Dunkel

Unterlegt werden die Gesprächsfragmente, die vom Ensemble scheinbar mühelos abgespielt werden, durch dramatische Licht- und Toneinsätze, die den lose aneinander gereihten Szenen Struktur verleihen. Dieser Zugang steht auch für die ganze Aufführung, die weniger eine Geschichte erzählt, sondern einen Blick auf ein geschickt gemaltes Gesamtbild erlaubt, in dem alles seine gleiche Berechtigung hat. Die Szenerie, die Dialoge und auch die eingestreuten Songs von Jan Preißler, die Solo, im Duo oder gemeinsam vorgetragen werden, aber nie Musical-Charakter haben. Kleine stumme Szenen spielen sich im Hintergrund einfach weiter ab – man weiß als Zuseher oft nicht, wo man hinsehen soll. Wie im Alltag, wo auch alles gleichzeitig passiert. „Sex Play“, inszeniert von Daniel Foerster und Sebastian Klinser, die aus Krankheitsgründen als Regiedoppel gearbeitet haben, bietet zwei Stunden, die Windeseile verfliegen. Stunden mit vielen Fragen, kaum Antworten, keinen erhobenen Zeigefingern und ganz wenig nackter Haut. Das Stück ist lustig, hat Firlefanz, wo es ihn braucht, Understatement, wo es weh tut, und liegt erfrischend meilenweit von aufgelegten Schenkelklopfern und nervtötenden Gender-Klischees entfernt. Infos zu weiteren Aufführungsterminen und Tickets