Zwischenmenschliches und Menschliches im App-Dschungel

Kritik: „Me1ne 1ntell1genz geh0rt m1r“, Time Out

Text: Lydia Bißmann - 13.11.2024

Rubrik: Theater
Kritik:  „Me1ne 1ntell1genz geh0rt m1r“, Time Out

Credit: Time Out

Eine liebevolle Abrechnung mit der alltäglichen Überforderung durch die Errungenschaften der modernen Technik hat Charly Vozenilek mit seiner Truppe von Time Out beim Stück „Me1ne 1ntell1genz geh0rt m1r“ geliefert.

Wer jetzt ein schnödes „Früher-war-alles-besser-Stück“ erwartet, der irrt. Mit sehr viel behutsamer Gesellschaftskritik, verspielter Ironie und Komik wird in dem Stück der Hartberger Theatergruppe Time Out ein Zustand illustriert, den nur jeder allzu gut kennt: die simultane Stimulation durch Apps und technische Programme, die eigentlich das Leben erleichtern sollten, es aber oft verkomplizieren. Wertungen bleiben aus, es geht vor allem um die Leidenschaft am Spiel der vielen Protagonist:innen, die sich ausgiebig von allen möglichen Seiten zeigen können.
Kritik:  „Me1ne 1ntell1genz geh0rt m1r“, Time Out

Credit: Time Out

Apps mit Benefits

Die Handlung ist eine klassische – eine Kleinfamilie kümmert sich zu wenig umeinander und lernt das analoge Familienleben erst zu schätzen, als es fast zu spät ist. Begehren erwacht wie üblich erst durch den Verlust. Begleitet werden die immer gestresste Workaholic-Mutter mit Selbstoptimierungszwang (Alina Vozenilek), ihre Tochter Lucie (Mimoe Vozenilek) und der völlig verloren wirkende Lehrer-Papa (Max Glatz) von ihren Apps und mehreren emsigen, aber sehr eifersüchtigen künstlichen Intelligenzen. Bettina Jäkel (Sophie) und Ilga Keler (Kali) geben miteinander konkurrierende KI-Weiber mit sehr viel beherztem Einsatz und umwerfend komischen Details. Beide stammen aus der Programmier-Feder von Clemens Nussgraber, der als patscherter Nerd in der Pyjamahose überzeugt. Julia Buchberger brilliert als liebevolle KI-Freundin und Geschichten-App mit Ausdauer, die dann doch mit Besserwisserei daherkommt und mit dem idealen KI-Boyfriend Murtaza Bahman herumflirtet. Als strebsame Wetter-App muss sich Daniel Falkner so einiges von den KI-Dominas gefallen lassen, als Sex-KI hat er etwas mehr Spielraum und geht in seiner lakonisch-komischen Rolle mehr als nur auf. Werner Kothgasser legt den KI-Papa erstaunlich gelassen an – zuvor erobert er die Herzen des Publikums aber im Sturm mit seinem kleinen Passwort-Mini-Drama.

Kritik:  „Me1ne 1ntell1genz geh0rt m1r“, Time Out

Credit: Time Out

Zwischen Dadaismus und Slapstick

Sandra Schabauer ist als Social Media App eine Art weiblicher Leporello, die dem unglaublich authentisch und aufrichtig dargestellten Teenager mit Liebeskummer Lucie zur Seite steht. Beim Auftritt der Influencerin Ophelia (Maribell Maierhofer) läuft es einem fast kalt über den Rücken, so gerade ist ihr Rücken, so gezielt ihr Lächeln, das sich nur an Likes, Spenden und Klicks speist. Kurz, aber umso effektiver sind die Auftritte von Walter Schweighofer, der als Spam-Typ in Silberhose und Kunstpelz absurd-dadaistische Einlagen liefert. Überhaupt sind die Kostüme von Stephanie Sophie Ortner wunderschön durchdacht. Unzählige Shades of Grey kleiden die KI-Truppe, die ganz normalen Menschen tragen alles von Desigual bis H&M, der technikfeindliche Vater wird in Tweed und Cord gesteckt. Die Kirsche auf der Torte, die ja selbst ein herrlicher Kirschkuchen ist, ist die Performance der beiden Tänzerinnen Izabela Soldaty und Hanna Schaar. Beide umrahmen das Spiel mit sensationellen Tanzeinlagen, die ganz nebenbei das Tempo vorgeben und nur gelegentlich sanft in die Handlung eingreifen.

Fazit: „Me1ne 1ntell1genz geh0rt m1r“ ist ein super-unterhaltsames Stück für die ganze Familie, das mit viel Fingerspitzengefühl, Humor und Verständnis für menschliche Schwächen, das vielfältige Können und die Talente der Mehrgenerationen-Theatertruppe Time-Out von der allerbesten Seite beleuchtet.

„Me1ne 1ntell1genz geh0rt m1r“
Time Out Kunst
Nächster Termin: 27. November, Stadtwerke-Hartberg-Halle, 19:30h

Regie: Charly Vozenilek
Regieassistenz: Birgit Steiner
Dramaturgie: Karl Wozek
Bühne und Kostüme: Stephanie Sophie Ortner
Licht: Tom Barcal
Tanz: Hanna Schaar, Izabela Iza Soldaty

Schauspiel: Alina Vozenilek, Bettina Jäkel, Clemens Nussgraber, Daniel Falkner, Ilga Keler, Julia Buchberger, Maribell Maierhofer, Max Glatz, Mimoe Vozenilek, Murtaza Bahman, Sandra Schabauer, Walter Schweighofer, Werner Kothgasser

Kritik:  „Me1ne 1ntell1genz geh0rt m1r“, Time Out

Credit: Time Out