Mikrohorror in der Einzelhaft
Kritik: Kokon, Juliette Eröd, TiB
Text: Sigrun Karre - 13.12.2023
Rubrik: Theater
Juliette Eröd und 300.000 Knöpfe für 6 Tage auf 10 Quadratmetern, das sind die Eckdaten der spannenden Installation, die aktuell im TiB zu erleben ist. Abends kommen Gäste zum Kokongespräch mit Pia Hierzegger vorbei.
Mit Kokon steht im TiB die bis dato radikalste Erforschung unter dem Saison-Arbeitstitel „Unbehagen“ am Programm. Sechs Tage lang schließt sich Juliette Eröd ein und stellt sich dabei aus. Ihr verschärfter Lockdown findet auf spartanischen 10 Quadratmetern statt. Was in etwa der Größe einer Gefägnisszelle in Österreich entspricht, die Menschen in Einzelhaft zur Verfügung steht. Neben Tisch, Stuhl und Schlafgelegenheit teilt sie sich ihr (gemeinsam mit Johanna Hierzegger) selbst gebautes, temporäres Refugium mit Knöpfen. Allerdings handelt es sich nicht um eine haushaltsübliche Menge, sondern gleich um 300.000 Exemplare, die sich bodendeckend im Raum verteilen und die einzige Funktion haben, die TiB-Schauspielerin bei Bedarf zu beschäftigen. Beim Schlafen bleibt Juliette Eröd ungestört, tagsüber lässt sie sich bei ihrem auf minimalistische Tätigkeiten beschränkten Dasein zusehen: anordnen von Knöpfen derselben Farbe in verschiedenen Formationen, Knöpfe bedächtig über die Tischkante kippen lassen, sich vom Tisch zur Schlafgelegenheit begeben, mimische Mikrobewegungen. Die Reduktion der möglichen Handlungen lädt jede kleinste Regung mit potenzieller Bedeutsamkeit auf.
Dass die Schauspielerin sich offenbar auch noch ein Schweigegelübde auferlegt hat, verschärft ihre Situation der Zurschaustellung. Als Zuseher*in schwankt man zwischen Neugier und dezentem Unbehagen über den eigenen Voyeurismus. Assoziationen zu einem Zoobesuch drängen sich auf.
Barbi Marković , Credits: Johannes Gellner
Das fängt schon mal irritierend gut an. Und so geht es weiter. Nach Tag 1 der Kunstaktion am 12. 12. ist um 20.00 die Schriftstellerin Barbi Markovic als „Talkgast“ geladen. Als „Expertin für Ängste“ steht die Autorin von zuletzt „Minihorror“ Pia Hierzegger Rede und Antwort zu teils recht intimen Fragen. Eineinhalb Stunden lang erfährt man Details aus der Familiengeschichte und über kleinere und größere Angsttrigger der Autorin und erforscht nebenbei in ein paar angestoßen-abschweifenden Gedanken auch die eigenen angstbesetzten Themen. Ein Blick auf Juliette Eröd erweckt den Eindruck, dass es ihr ähnlich gehen könnte, wenn auch ihre Wahrnehmung und Kontemplation bereits jetzt ganz andere Sphären erreicht haben dürfte. Dass die gleiche Person, die in das Kunstprojekt reingegangen ist, auch wieder rauskommen wird, davon geht sie in Anbetracht des Titels 'Kokon' offenbar selbst nicht zwangsläufig aus.
Gegen Ende gibt es eine humorvolle-absurde Jäger wird zum Gejagten-Geschichte von Barbi Markovic, die um die Angst vor Verlust der Privatsphäre kreist. Dann wird noch ein (vorselektierter) Musikwunsch oldschool via Plattenspieler erfüllt.
Dass der Abend aufregend-anregend bleibt, hat lapidar gesprochen drei Gründe: Juliette Eröd, Barbi Markovic und Pia Hierzegger. Bis einschließlich 17. Dezember sind noch weitere sehr unterschiedliche Gesprächsgäste zu verschiedenen Themen eingeladen. Hingehen! Macht unbedingt auch öfters Sinn.
Pia Hieregger, Credit: Johannes Gellner