Frauen, Männer, Flüche und der Krieg

Kritik: Iokaste, Schauspielhaus Graz

Text: Lydia Bißmann - 15.02.2025

Rubrik: Theater
Kritik: Iokaste, Schauspielhaus Graz

Authentisch und menschlich: Karola Niederhuber als Iokaste unter der Regie von Anna Bader. (Credit: Lex Karelly)

Mit Iokaste zeigt das Schauspielhaus Graz den vierten Teil der fünfteiligen Serie Anthropolis von Roland Schimmelpfennig, die den griechischen Dramen von Aischylos, Sophokles und Euripides gewidmet ist. Anna Rausch (Regie) und Elisabeth Tropper (Dramaturgie) inszenieren das Stück über eine mehr als dysfunktionale Familie rund um Iokaste, die Mutter und Ehefrau von Ödipus, als einen eindringlichen Antikriegsappell mit femistischem Unterbau.

Es geht um Krieg, das ist sofort klar, da im ersten Akt sofort ein Satz über den Frieden an die Wand geworfen wird. Niemand spricht ja über den Frieden, wenn nicht irgendwo um die Ecke ein Krieg lauert – das ist so wie mit Regenschirmen, die man vergisst, wenn die Sonne scheint. In Theben, der Heimat von Iokaste und ihrer Familie, hat der Krieg nur eine kurze Verschnaufpause eingelegt. Bis auf die ständigen Suizide mit viel Kunstblut von Dominik Pohl, der im Hintergrund den hypersensiblen und hochnervösen Menoikeus gibt, der sich für seine Heimat „opfert“, gibt es wenig Action. Die Handlung samt Vor- und Nachgeschichte wird erzählt, wie das bei den Dramen von Roland Schimmelpfennig so üblich ist. An einer langen Tafel, die den Hauptteil des spärlich gehaltenen Bühnenbilds (Hannah von Eiff) ausmacht, sitzt Iokastes Familie, deren männliche Nachkommen, die Brüder Polyneikes und Eteokles, einander die Vernichtung erklärt haben. Warum, ist nicht so ganz klar. Robert Maximilian Rausch, der den wortbrüchigen Bruder Eteokles spielt, lässt sich in der Diskussion gar nicht weiter auf seine nicht eingehaltene Vereinbarung der Herrschaftsübergabe ein. „Worte sind nichts“, sagt der relativ normal und unscheinbar auftretende König der Stadt, der diese um Biegen und Brechen vor dem feindlichen Heer, an dessen Spitze sein eigener Bruder steht, verteidigen will. Wie in jedem Familientwist geht es auch bei diesem Streit nicht um die konkrete Sache, sondern eben um etwas ganz anderes, das vielleicht auch zu einer ganz anderen Zeit geschehen ist. Polyneikes (Mario Lopatta) musste fliehen, sich woanders eine neue Heimat suchen, und erinnert das Publikum in einer Szene daran, dass das nicht immer lustig sein muss, dass Fremde woanders auch beschimpft, vertrieben oder zu Tode geprügelt werden können. Das stimmt auch, es ist nur so, dass er eben bei einer Königsfamilie Asyl bekommen hat, mit einer Prinzessin eine Familie gründen durfte. Solche Flüchtenden werden in der Regel nicht so oft zu Tode getreten. Anscheinend hat er den Krieg deshalb angezettelt, weil er sich seine Mitgift – sprich Geld – holen will. Die joviale Herzlichkeit, mit der er mit seiner Schwester über einem Glas Rotwein scherzt, stellt einen diabolischen Gegensatz zu seinem sonst eher unsicheren und wortkargen Erscheinen dar. 

Kritik: Iokaste, Schauspielhaus Graz

Robert Maximilian Rausch, Anna Klimovitskaya, Karola Niederhuber (Credit: Lex Karelly)

Familientraumata und verfluchtes Erbe

Das Erbe der Kinder von Ödipus wiegt schwer – sowohl Eltern als auch Großeltern haben sich nach allen Regeln der Kunst danebenbenommen. Die unselige Orakelei – Worte – hat sie dazu gebracht, das eigene Kind als Neugeborenes zu foltern und wegzugeben. Karola Niederhuber gibt eine leidgebeutelte Iokaste, der die Verzweiflung ins aristokratische Gesicht geschrieben steht, die hochkonzentriert und voller Elan immer und immer wieder versucht, ihren missratenen Nachwuchs zur Vernunft zu bringen. Natürlich ohne Erfolg. Sie wirkt authentisch, kann ihre Gefühle, die eine sehr menschliche Mischung aus Liebe, Trauer, Reue und Verzweiflung sind, auch ohne große Gesten nachvollziehbar vermitteln. Hass ist keiner dabei in dieser Emotionen-Melange, wobei sie allen Grund dafür hätte.

Anders als ihre Söhne jetzt hätte sie nie eine Wahl gehabt in ihrem Leben, das voll von Missgeschicken, dummen Zufällen und noch dümmeren Prophezeiungen war. Noch weniger Wahl als die Königin haben ihre Töchter, die außer Schönheit rein gar nichts zum Geschehen beitragen dürfen. Anna Klimovitskaya gibt eine resignierte und ätherisch-apathische Ismene in der Polyesterbluse, der man aber durch kleine Bemerkungen im Teenie-Slang trotzdem anmerkt, dass sie mit ihrer Jugend etwas anderes anzufangen hätte. So wie ihre Schwester Antigone (Luise Schwab), die in Hemd und Jeans zwar etwas resoluter und vitaler auftritt, beschränken sie sich darauf, den Kriegsschauplatz plastisch zu beschreiben, der durch ihre Ausführungen in die Gegenwart transferiert wird. Beide wissen, dass ihre Brüder nicht nachgeben werden, dass ihnen der Tod und vermutlich eine Vergewaltigung davor droht.

Kritik: Iokaste, Schauspielhaus Graz

Karola Niederhuber, Luisa Schwab (Credit: Lex Karelly)

Unbequemer Denkstoff

Iokaste ist ein sehr tiefgehendes Stück, das sich der Aussichtslosigkeit der Kriegslogik annimmt und plastisch zeigt, dass es diese einfach nicht geben kann. Es zeigt Krieg als Resultat von sehr viel toxisch-männlichem Verhalten, das in der Antike vielleicht ganz normal gewesen ist, aber heute immer noch ungestört dahin praktiziert werden darf. Zumindest dann, wenn es um etwas Großes geht wie eben Krieg. Frauen müssen meist doppelt dabei draufzahlen und werden nur ganz selten zu ihrer Meinung dazu befragt. Wie schon in Prima Facie ist es Anna Bader und Elisabeth Tropper nicht nur gelungen, 70 Minuten lang die Spannung trotz bekanntem Ausgang aufrechtzuerhalten, sondern auch das Publikum mit sehr viel nachhaltigem und auf allen Ebenen unbequemem Nachdenkstoff auszustatten.

Kritik: Iokaste, Schauspielhaus Graz

Robert Maximilian Rausch, Mario Lopatta (Credit: Lex Karelly )

Iokaste von Roland Schimmelpfennig / Aischylos / Euripides

Besetzung und Team:

Iokaste: Karola Niederhuber
Polyneikes: Mario Lopatta
Eteokles: Robert Maximilian Rausch
Menoikeus: Dominik Puhl
Ismene: Anna Klimovitskaya
Antigone: Luisa Schwab
Regie: Anne Bader
Bühne & Kostüme: Hannah von Eiff
Musik: Matthias Schubert
Dramaturgie: Elisabeth Tropper

Kritik: Iokaste, Schauspielhaus Graz

Dominik Puhl (Credit: Lex Karelly)