Der Zufall führt Regie ohne Rücksicht auf Verluste
Kritik: Hamlet und ich, Theater im Keller
Text: Robert Goessl - 27.02.2025
Rubrik: Theater
Die Welturaufführung des vorletzten Stücks des im Theater im Keller häufig gespielten slowenischen Autors Evald Flisar gleicht einer Abrechnung mit dem menschlichen Verhalten. Das Spiel dreht sich um Bonifazius Ich (Bernd Sračnik), einen pensionierten Schauspieler, der hunderte Male als Hamlet auf der Bühne stand und nun am Ende sowohl mit sich selbst als auch mit seinem Leben aufräumen möchte. Dabei entspinnt sich ein Spiel mit Menschen ohne Rücksicht auf Verluste, sei es als Abwechslung zu seiner Einsamkeit oder aus Lust, Menschen mit all ihren Schwächen vorzuführen, auch auf sich selbst nimmt er dabei keine Rücksicht.
Er scheint auch in seinem Leben mittlerweile viel von seiner Paraderolle übernommen zu haben, und so wurde aus ihm ein entscheidungsunfähiger Mann, der an sich und allen anderen Menschen (ver)zweifelt. Deswegen stellt er eine Annonce in die Zeitung, in der er eine Assistenz sucht, um sein Leben und seine Dokumente aus einem Koffer heraus zu ordnen. Das führt die Prostituierte Maya (Tamara Belic) zu ihm in den schäbigen Kellerwohnraum, die von ihrem Zuhälter David (Leo Weingerl) an der kurzen Leine gehalten wird. Beide missverstehen den Text der Annonce und vermuten dahinter ein erotisches Rollenspiel.

Credit: Wegscheidler/TiK
Die Darstellung eines Lebens als Spiel
In der Schwebe bleibt, ob Bonifazius mit ihr nur spielt oder ob er zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt ist, um auf ihre erotischen Rollenspiele einzusteigen. Dabei verfällt Bonifazius immer wieder in Hamlet-Rezitationen, während er genüsslich einen Abfallsammler zusammensteckt. Man hat das Gefühl, dass es ihm gar nicht so sehr um Ordnung geht, sondern einfach um Unterstützung dabei, alles, was sein Leben betrifft, wegzuwerfen. Mayas Zuhälter, der irgendwann auch in der Kellerwohnung erscheint, versteht dieser nur Bahnhof. Angesichts eines anscheinend wahnsinnigen Bonifazius, der mit einem Trommelrevolver droht, gibt er klein bei und fügt sich in das Spiel, das zunehmend eine existenzielle Note erhält. Als dann der Statiker Marko (Alfred Haidacher) erscheint, um Daten für die Volkszählung zu sammeln, spielt auch dieser - gar nicht ungern - mit.

Credit: Wegscheidler/TiK
Russisches Roulette mit offenem Ausgang
Das Ganze bleibt so lange im Rahmen, bis in den Dokumenten eine Lebensversicherung auftaucht, die der Frau des derzeit unverheirateten Bonifazius fünf Millionen Dollar als Begünstigte im Falle seines Ablebens garantiert. Nachdem er auch andeutet, dass er an Krebs leide, nimmt die Handlung Fahrt auf. Erst bringt sich Maja, unterstützt von ihrem Zuhälter David, ins Spiel, aber auch der Beamte will seine 16-jährige Tochter Viola (Emile Haidacher) an den reichen Mann bringen. Bonifazius genießt sichtlich, wie er die Puppen tanzen lassen kann und lässt dem Spiel inklusive kurzer Gewaltexzesse freien Lauf. Immer wieder füttert er sie mit neuen Forderungen. Auch steigert sich der Betrag der Lebensversicherung auf 30 Millionen Dollar – was dann auch David, der sich dann doch das Dokument schnappen kann, bestätigt. Entsprechend gilt es jetzt, zu einer Entscheidung zu kommen. Der Trommelrevolver inspiriert zum russischen Roulette mit offenem Ausgang: Die überlebende Frau soll Bonifazius heiraten. Es zeigen sich die wahren Gesichter der Beteiligten mit all ihrer Gier und Rücksichtslosigkeit, die Dynamik eines grausamen Zuhälters und eines noch grausameren Vaters lassen das nicht zu. Und Bonifazius stellt sich nur halbherzig auf die Seite der Frauen, zu sehr scheint er dieses Spiel zu genießen und dabei zuschauen, wie sich seine Mitspieler von ihren schlechtesten Seiten zeigen, obwohl er ständig die Chance hätte, das zu beenden. Falls die Sache kurz überhandnimmt, setzt er sich den Revolver selbst an die Schläfe, was die anderen dann sofort beruhigt, denn mit seinem Tod wird seine Lebensversicherung sinnlos.

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Der Teufel liegt im Detail und lebt in den Menschen
Bonifazius treibt das ganze auf die Spitze, indem nicht nur die Frauen, sondern auch die beiden Männer, sich die Pistole an die Schläfe halten müssen, während er nach jedem Drücken des Abzugs die Trommel wieder zufällig dreht. Auch sich selbst nimmt Bonifazius nicht aus, im Gegenteil, er führt auch noch Hamlets Geist ein und schlüpft damit in eine Doppelrolle mit doppelter Chance, in jeder Runde zu sterben. Der Wahnsinn nimmt tatsächlich seinen Lauf, auch wenn durch diese Regeln, nachdem es nur eine Patrone gibt und damit nach dem ersten Schuss das grausame Spiel zu Ende ist, die Wahrscheinlichkeit, dass eine der beiden Frauen stirbt und Bonifazius damit die andere heiratet, nur mehr sehr gering ist. Aber für 30 Millionen sind auch der Vater und der Zuhälter dazu bereit, nachdem sie ohnehin davon ausgehen, ihre Frauen zu beherrschen und von dem Geld gehörig etwas abzubekommen. Dass am Ende die Situation zu etwas anderem führt, ist dem Zufall, dem das menschliche Verhalten unterliegt, geschuldet. Im Zweifelsfall lässt sich das Leben trotzdem am einfachsten mit einem Lächeln ertragen.

Credit: Wegscheidler/TiK
Unter der Regie von Alfred Haidacher entsteht in dieser Inszenierung ein nihilistisches Spiel, in dem eine großartig von Bernd Sračnik verkörperte desillusionierte Hauptfigur fast gnadenlos den Zufall Regie führen lässt, um die Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins mit all seinen Schwächen zu demonstrierten. Er schont dabei weder sich noch die anderen und agiert dabei teils nur als Beobachter der Situation, teils als Antreiber in den Wahnsinn in einem Spiel, in dem von ihm weder das Leben noch der Tod ernst genommen werden. Es ist insgesamt ein menschlich ernüchterter Abend, den das Ensemble temporeich umzusetzen weiß und der jeden möglichen Zynismus auf die Spitze treibt.
Noch zu sehen im Theater im Keller am
01.03., 05.03., 06.03., 07.03., 08.03. jeweils 20:00
www.tik-graz.at