Schönheit inklusive –

Kritik: Geschichten aus dem Frisiersalon, Theaterakademie LebensGroß & Mezzanin Theater

Text: Lydia Bißmann - 07.03.2025

Rubrik: Theater
Kritik: Geschichten aus dem Frisiersalon, Theaterakademie LebensGroß & Mezzanin Theater

Credit: Edi Haberl

"Geschichten aus dem Friseursalon" ist ein sinnlich-schönes Ganzkörperstück, das die Grenzen der gewohnten Theaterrezeption überschreitet. Das Ensemble besteht aus den Studierenden der Theaterakademie LebensGroß (Leitung: Lina Hölscher), die unter der gewohnt sanft-präzisen Regie von Martina Kolbinger-Reiner im Theater im Bahnhof (TiB) ein Stück performen, das sich um ein scheinbar alltägliches Thema wie den Friseurbesuch dreht. Im Laufe der 70-minütigen Performance zeigt sich jedoch Schicht für Schicht, dass sich dahinter noch viel mehr verbergen kann.

Die Handlung spielt in einem Promi-Friseursalon, der von Roberta (Robert Nemes) und Florian H. (Florian Haider) in klassisch-hierarchischer Manier geführt wird. Die prominenten Gäste werden mit süßlichen Liebenswürdigkeiten, Brötchen und Schampus randvoll abgefüllt, während für die Angestellten und Lehrlinge nur avantgardistische Schimpfwörter wie „Ameise“ oder „Aubergine“ übrig bleiben. Markus Boxler (Ausstattung) hat die beiden Räume, in denen gespielt wird, bis zum letzten Lichtfunken in eine Beauty-Oase mit einem Schuss Funk verwandelt. Friseurmäntelchen in zartem Gelb sorgen für Uniformität, erlauben aber mit dezenten Details wie einer kleinen Brosche oder einem Hemdkragen individuelle Akzente. Downtempo-Klänge, die perfekt geschminkte Understatement-Maske und das stimmungsvolle Licht versetzen die Besucher:innen augenblicklich in die konzentriert-entspannte Atmosphäre eines Schönheitssalons mit Anspruch.

 

Kritik: Geschichten aus dem Frisiersalon, Theaterakademie LebensGroß & Mezzanin Theater

Credit: Edi Haberl

Tanzlust und Haarshampoo

Janosch (Janosch Ostrowski), Florian F. (Florian Finsterbusch) und Lena (Lena Strohriegel) bilden die Lehrlingstruppe, die viel lieber tanzen würde, als Haare zu shampoonieren oder zusammenzukehren. Regelmäßig verwandeln sie die Bühne in einen Mini-Dance-Floor, was dem Stück Dynamik und Rhythmus verleiht – und die Beine des Publikums beim Zusehen zucken lässt. Chefin Roberta mäandert genussvoll und zum Wegwerfen komisch zwischen ihrer zuvorkommenden Dienstleistungsbereitschaft und ihrer „dunklen Seite“, die sie trotz fragwürdigem Ausbildungshintergrund nicht davon abhält, Frisuren im Wert eines Lehrlingsgehalts zu verkaufen. Florian H. hätte ohne ihre Hilfe als typisch weibliche „Seele des Hauses“ längst seine alter-weißer-Mann-Nerven über Bord geschmissen – im quirligen Angestellten-Kund:innen-Zirkus. Mit sehr viel Mut und Fingerspitzengefühl verwebt er die Sehnsüchte seiner sonoren Chef-Stereotype mit seinen ganz persönlichen Herausforderungen, was der Rolle Struktur und Sympathie schenkt.

Kritik: Geschichten aus dem Frisiersalon, Theaterakademie LebensGroß & Mezzanin Theater

Credit: Edi Haberl

Wunsch, Wandel und Wirklichkeit

Agnes Zenz (Agnes) und Sascha Wilding (Sascha) geben die bereits fertig ausgebildeten Friseurinnen und hantieren mit perfekt einstudierten Handbewegungen – sachte, aber pragmatisch – mit der Haarpracht und den Typveränderungswünschen der Kundschaft. Und Wünsche gibt es viele im Friseursalon: Nicht nur Helene und Paul sind auf der Suche nach Identität, Selbstbestimmung und Romantik. Auch der anfangs pampige Tobias (Tobias Spiegl) benötigt einen Praktikumsplatz, muss aber zuvor ein menschliches Bedürfnis erledigen. Das schickt ihn auf eine absurd-komisch, verträumt-romantische Reise mit einer gehörigen Prise Kafka, von der er geläutert zurückkommt.

"Geschichten aus dem Frisiersalon" vereint zeitgenössisches Theater, Tanz, Kunst und Slapstick miteinander – Wie in einem Kaleidoskop strahlen die Elemente für sich, erstrahlen in der Mischung aber zu neuer Schönheit. strahlen, sich aber auch ständig miteinander mischen und zu neuer Schönheit aufblühen. (Dramaturgie: Natascha Grasser, Choreografie: Juliane Spannring). Der durch Improvisation gemeinsam entstandene Text ist klar und präzise formuliert und lebt von Zwischentönen und Pausen. Trotzdem gibt es genügend Raum für verspielten Wortwitz, genussvolle Komik und einen Hauch gut platzierter Deftigkeit.

Kritik: Geschichten aus dem Frisiersalon, Theaterakademie LebensGroß & Mezzanin Theater

Credit: Edi Haberl