Mittelstand am Rande des Nervenzusammenbruchs

Kritik: Gas Toni, Theater im Bahnhof

Text: Lydia Bißmann - 24.01.2025

Rubrik: Theater
Kritik: Gas Toni, Theater im Bahnhof

Lorenz Kabas, Monika Klengel, Juliette Eröd und Eva Hofer brillieren in der Impro-Serie “Gas Toni”. (Credit: Johannes Gellner)

Das Theater im Bahnhof eröffnet das neue Jahr mit einer Impro-Serie. Den Handlungsrahmen für das Stück: Gas Toni – Ein Familienbetrieb am Kipppunkt bietet der Alltag eines kleinen Installateurbetriebs, der ohne den Patriarchen auskommen muss, da jenen die Freude über die fast 30 Prozent der FPÖ bei der vergangenen Nationalratswahl ins Koma geschickt hat.

 Astrid Müller (Eva Hofer) und Sabine Meier (Monika Klengel) müssen den Laden nun mithilfe von Sekretärin Eszther Tóth (Juliette Eröd) alleine schupfen – echte Ahnung vom Tagesgeschäft hat allerdings nur Letztere. Martin Leitner (Lorenz Kabas) fertigt als Teilzeit-Grafiker die Prospekte für den Betrieb an, muss aber für alles Mögliche herhalten – vom Lustknaben bis zum Geldeintreiber. Mike (Jacob Banigan) hat als Lagermitarbeiter keinen Nachnamen, er bekommt vom Publikum verschiedene Herkunftsländer verpasst. Ob Slowene oder Norweger ist aber egal – er bleibt der Ausländer.

Kritik: Gas Toni, Theater im Bahnhof

Juliette Eröd als Sekretärin Eszther Toth (Credit: Johannes Gellner)

Grautöne auf vielen Ebenen

Das Intro, ein Anrufbeantworter-Medley, versetzt das Publikum sofort in den mittelständischen Mief einer kleinen KMU in der Herrgottwiesgasse. Mit gespielter Heiterkeit und Fahrstuhlmusik gaukelt einem die Stimme (Herwig Thelen) vor, dass man eine Wahlmöglichkeit hätte und nur die richtige Entscheidung treffen muss, wenn einmal der Boiler streikt. Sparsam mit viel Grau, Uringelb und Kotzbeige, aber auch mit einer sogenannten „Antiquität“ in Hundegestalt ausgestattet (Helene Thümmel, Johanna Hierzegger), holt auch die Bühne einen sofort in die Welt des angewandten Kleinbürgertums. Gekleidet in Polyester-Plissee, eine Prise COS, hautfarbenen Strümpfen und gesunden Schuhen versuchen die fünf Protagonist:innen Rezession und schwindender Zahlungsmoral der Kund:innen zu trotzen. Nonchalant und völlig angstbefreit gibt Monika Klengel die ahnungslose Quereinsteigerin Sabine, die eigentlich aus der Modebranche kommt und vom Vater Gas Toni nach dem Herzinfarkt zur interimistischen Managerin ernannt wurde. Ihre Fantasie reicht zu wenig mehr als zum Einsatz des „Inkasso-Kostüms“ beim Eintreiben der ausstehenden Rechnungen, das nur den Reserve-Macho Mike beeindruckt. Jacob Banigan meistert den Spagat zwischen den einzelnen Stereotypen exzellent. Als Norweger notiert er akribisch sexuelle Belästigung nach einer Umarmung durch die Chefin in seinem Kalender; als Testosteron-Jugo versucht er, mit einer Pistole der Grafik-Lusche Martin zu mehr Männlichkeit zu verhelfen. Lorenz Kabas gibt den verzweifelt nach politischer Korrektheit ringenden Linken („Schwarzgeld darf man auch nicht mehr sagen!“) sensationell authentisch – jede Pore seines Körpers strahlt Unsicherheit, Verzweiflung und Schuldgefühle aus. Juliette Eröd legt mit ihrer allwissenden und emsigen Orbán-Freundin Eszther eine traumhafte „Perle“ hin. Mit fester Stimme ruft sie am Festnetztelefon die Stakeholder zur Raison, taxiert mit weitsichtigen Augen den Computerbildschirm oder ergeiert sich vom schmierigen Konkurrenten (Ed Hauswirth) schlüpfrige Erpresserfotos zurück. Die Kontrolle über sich verliert sie nur, wenn sie an ihren geliebten Chef in seinem Krankenhausbett denkt. Astrid als Diplom-Kauffrau hat zwar anscheinend Ahnung vom Geschäft und vermutlich auch die Fähigkeit zu annähernd logischem Denken, kann aber ihr Quäntchen mehr an vernünftigen Ressourcen überhaupt nicht einsetzen. Sie schafft es nicht, weiterzudenken, als ihre gewagte Modeschmuckkette reicht, was ihrer Figur eine tragische Komik verleiht.

Kritik: Gas Toni, Theater im Bahnhof

Eva Hofer als Astrid Müller geborene Meier. (Credit: Johannes Gellner)

Sensible Zeitkritik

Gas Toni ist ein Volksstück, da das Volk hier die Hauptrolle spielt. Mit viel Sanftheit, Sensibilität und nicht zuletzt Klugheit setzt sich das Theater im Bahnhof hier mit dem Kleinbürgertum auseinander und bietet einen Ausweg aus der tragischen Selbsthassspirale an, die an dieser Klasse klebt wie Hundekot am urbanen Schuh. Wir alle gehören schließlich der Mittelschicht an, der von Propaganda und Kapitalismus täglich ins Gehirn geschissen wird, weshalb sich manche davon dafür entscheiden, kräftig nach unten zu treten. In liebevoll gespielten Figuren, mit vielen, vielen Grautönen, bekommt sie hier einfach Leben eingehaucht und erlaubt dem Publikum, nicht zuletzt über sich selbst zu lachen. Die Unfähigkeit zu Solidarität, Selbstfürsorge und logischem Denken wird in Gas Toni nicht angeprangert, das Sägen am eigenen Ast einfach mal so dahingestellt. Klischees werden nicht bedient, sondern einfach leichtfüßig bespielt. Treffsichere Pointen, Situationskomik und Wortwitz lenken nicht von der Vielschichtigkeit ab, die dem Stück noch anhaftet. Ein Treuepass als Eintrittskarte weist darauf hin, dass das Impro-Stück mehrmals besucht werden kann, da die Handlung ja jedes Mal anders sein wird. Ganz sicher kein Fehler, nicht nur wegen des versprochenen Freigetränkes und der Gratiskarte beim fünften Besuch kommen! Einziger Wermutstropfen dabei ist die Tatsache, dass die „Wir sind das Volk“-Brüller die Inszenierung im Off-Theater TiB leider nicht zu Gesicht bekommen werden, weil sie solche Orte selten aufsuchen.
Kritik: Gas Toni, Theater im Bahnhof

Monika Klengel und Allround-Ausländer Mike (Jacob Banigan)

Gas Toni

QUARTIER Theater im Bahnhof Elisabethinergasse 27a 8020 Graz Termine: 30.1., 27.2., 27.3., 24.4., 25.4.

Konzept: Lorenz Kabas, Jacob Banigan

von und mit Jacob Banigan, Beatrix Brunschko, Juliette Eröd, Ed.Hauswirth, Pia Hierzegger, Eva Hofer, Elisabeth Holzmeister, Lorenz Kabas, Monika Klengel, Helmut Köpping, Rupert Lehofer, Martina Zinner in wechselnder Besetzung

Ausstattung: Helene Thümmel, Johanna Hierzegger

Technik: Moke Rudolf-Klengel