Zwischen glänzender Darstellung und schmutziger Wirklichkeit
Kritik: FILM BEIGE, Planetenparty Prinzip
Text: Robert Goessl - 15.10.2024
Rubrik: Theater
In dieser Performance nach dem Konzept und der Regie von Victoria Fux und Moritz Ostanek wird einer realen Person, die durch den Kinosaal als Wurm kriecht, ein Experimentalfilm, der von einer Musterfrau im Musterland in einem Musterhaus handelt, gegenübergestellt und so mit der Wahrnehmung von Darstellung und Wirklichkeit durch das Publikum gespielt.
Beide Figuren werden von Alexandra Schmidt verkörpert, die auch sich selbst im Film betrachtet, doch auch im Kinosaal im Schubertkino ist stets die Kamera dabei. Es wird dort also live gefilmt und auf die Leinwand übertragen, aber nicht immer. Manchmal wird auch nur gefakt, doch die Welt der Bilder ist immer präsent durch die Kamera als ständigen Beobachter (Martin Schneider). Der elektronische Sound dazu wird live von Philipp Streicher als DJ und Musiker geliefert, mal die Stimmung unterstützend, mal gegen sie rebellierend.
Die perfekte Musterwelt im Film als Darstellerin
Das Betreten der Hauptfigur erfolgt im Kino wie im Film von hinter der Bühne, während sie sich selbst als Wurm dabei auf der Leinwand betrachtet. Dort im Film spazeirt sie auf der Leinwand durch eine menschenleere Gegend zwischen Ikea und einem Musterhauspark. Es passiert dabei nichts, außer dass die bebaute Landschaft zum Betrachten offengelegt wird. Dann wird es etwas konkreter – ein Musterhaus wird ausgewählt und bezogen, um dort ein Leben darzustellen. Es gibt keinen Schmutz, die Einrichtung ist in Beige gehalten, ebenso wie die Kleidung. (Ausstattung und Kostüme: Leonie Bramberger).
Es wird gelebt oder vielmehr ein Leben gespielt, einzig um betrachtet zu werden - unauffällig demonstrativ, ein Wohnen ohne Inhalt, sowohl im Haus als auch im Garten ohne echte Tätigkeit, die etwas bewirken könnte. Es passiert alles nur zum Schein, so „wie es sich gehört“, mit Pappkameraden als Dekoration, um das mögliche Vorhandensein anderer Menschen anzudeuten, die auf diese Weise das Gesamtbild dann auch nicht stören können.

Credit Clemens Nestroy
Das Suchen nach den echten Menschen unter Betrachter*innnen
Die Person tritt nach dem Ende eines Filmteils nun im Kinosaal in Aktion. Mit verfremdeter Stimme sucht sie Anschluss im Publikum, versucht zu kommunizieren, bewegt sich als Wurm durch die Reihen. Verfolgt von einer Kamera, wobei nicht immer das im Kinosaal dargestellte auf der Leinwand zu sehen ist, oder zumindest das, was im Hier und Jetzt geschieht. Aber was ist schon echt in diesem Zusammenhang?
Der Wurm kriecht durch den schmutzigen Zuschauerraum, naiv fragend, Bestätigung suchend, sich selbst im Video betrachtend, oder nur sich selbst als Idee im Video betrachtend, mal um Cola, mal um Popcorn bittend, Nähe suchend, aber stets in der Kommunikation nur oberflächliche Floskeln verwendend. Das zeitweilige Mitfilmen und die Darstellung dessen auf der Leinwand bietet dem Publikum die Möglichkeit, sich beim Zusehen zusehen zu können.

Credit Clemens Nestroy
Sichere Werte und Perfektion ohne Konsequenzen
Der Film geht weiter, die Darstellung bleibt perfekt und tendiert nun etwas in Richtung Tradwife. Die Handlungen bleiben angedeutet und weil es mal länger dauern kann, dass sich nichts wirklich Folgenreiches ereignet, wird so manches in Zeitraffer verdichtet wie das Kochen, bei dem es vor allem um das Herzeigen geht. Auch ein Rasenmäher-Traktor kommt als Fahrzeug ins Spiel. Gemäht wird aber nicht, das würde die perfekte Ästhetik stören, ebenso wie beim Golf kein Schlag ausgeführt wird, es reicht die Andeutung mit Ball und Schläger, um damit auch eine mögliche Geschichte anzudeuten. Es hat alles nur symbolische Bedeutung – damit man sieht, dass etwas passiert, ohne dass etwas sich wirklich verändert.

Credit Clemens Nestroy
Das Gemeinsame als Versuch
Der Wurm orientiert sich danach an dem trivialen Code von gemeinsamen Erfahrungen, also Internet-Videos, die man eben kennt oder zu kennen glaubt. Aber die Beziehung zum Publikum wird nicht tiefer, die Sehnsucht wahrgenommen zu werden, sei es als die Betrachterin ihrer selbst oder als Kriecherin durch das Publikum, kann nicht erfüllt werden. Auf der Suche nach einer Befreiung führt der Weg über die Leinwand.
Ein Durchbruch zum Schmutz
In der Gegenüberstellung des Films mit der realen Person in der Performance stellt sich die Frage, wie sich das Totschlagen der Zeit im sozialen Scheinraum überwinden lässt, um eine Echtheit zu finden. Der Film-Protagonistin wird eine Maske aus Lehm abgespült, um ein echtes Lächeln zu kreieren, und sie beginnt sich im Sand zu wälzen, um die Welt um sich auch wahrzunehmen und damit dem Dasein als Selbstzweck zu entkommen. Für die Protagonistin werden Bilder, die zur Realität wurden, wieder zu Bildern der Realität, um am Schluss im Film aus dem Film heraustretend, aus einem leeren Saal auf das Publikum zu blicken.

Credit Clemens Nestroy
Zwischen Cola und Popcorn wird man in dieser Performance als Zuseher*in Teil eines Systems, das nur auf das Betrachtetwerden ausgelegt ist, und das nur als Form ohne Inhalt zum Selbstzweck zu existieren scheint. Es erhält nur durch die Betrachtung einen Sinn, ohne selbst einen zu haben. Eine reine Darstellerin eines Lebens braucht ein Publikum, sonst ist ihre Existenz sinnlos. Und wenn am Ende die Darstellerin selbst zu ihrer Betrachterin wird, verleiht sie sich damit als Darstellerin die Existenz? Kommt da noch etwas Echtes zum Vorschein? Und wie kommt der Schmutz in die Welt? In diesem Sinn vermittelt diese feine, mit vielen Nuancen gespickte Performance das eigenartige Gefühl, in einem System festzustecken, in dem jeder nur daran denkt, seine Wirkung in Bezug auf alle anderen zu perfektionieren, um dabei nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig aufzufallen.