"Ihr habt euch Jugendkultur erwartet"

Kritik: Erwachsenenbeschimpfung, TaO Graz

Text: Sigrun Karre - 13.01.2023

Rubrik: Theater

Credit: Clemens Nestroy

Ein dramatische Abrechnung der Jugend mit den Erwachsenen. Ein Sprechtheater von Jugendlichen für Erwachsene und Jugendliche unter der Regie von Simon Windisch begeistert derzeit im Theater am Ortweinplatz.

„Ihr werdet heute Abend beschimpft werden, ihr werdet heute Abend durch den Dreck gezogen werden. Ihr werdet beschmiert und beschmutzt werden.“ Vier jugendliche Darstellerinnen im grauen, uniformen Business-Outfit bereiten ihr Publikum in Anlehnung an Handkes „Publikumsbeschimpfungen“ auf einen herausfordernden Theaterabend vor.Oder eigentlich nur einen Teil des Publikums. Erwachsene sollen beschimpft werden, deswegen ist das jugendliche Publikum auf der gegenüberliegenden Seite der Bühne untergebracht. Dort stärkt es sozusagen den vier Vertreterinnen ihrer Generation, kongenial dargestellt von Franka Jauk, Emma Moser, Felicia Sobotka und Elena Trantow, den Rücken und wird gleichzeitig aus Erwachsenenperspektive zum Teil des Bühnenspiels. Rituell beschmiert (dem Geruch nach mit Rote-Rüben-Saft) wird in der gelungenen TaO-Produktion „Erwachsenenbeschimpfung“ unter der Regie von Simon Windisch dann tatsächlich eine Brettspielsammlung. Ansonsten wird abwechselnd und im Chor mal mehr, mal weniger direkt Handke zitiert und der Spieß umgedreht, denn „ihr müsst jetzt stillsitzen und zuhören“.

Credit: Clemens Nestroy

Der aktuellen Klage über die mangelnde Leistungsbereitschaft der heutigen Jugend wird entgegengesetzt, was alles umsonst war: Arbeiten bis zum Umfallen zum Beispiel, das sitzt. Der Spiegel wird den Erwachsenen recht offensichtlich vorgehalten. „Ihr hört euch selbst in uns!“, beschwören die vier Jugendlichen, die beteuern: „Hier wird nicht gespielt werden!“.  Ob Glaube, Arbeit oder Liebe …, in den fundamentalen Lebensfragen sind die Alten aus Sicht der Jungen ziemlich schief gewickelt. Daneben stoßen auch vermeintliche Banalitäten wie über Nacht auf Plastik-Wickler gedrehte Haare auf jugendliches Unverständnis. Aber auch mehr oder weniger sarkastischen Dank gibt es: für Gorbatschow z. B., oder dafür, dass die Erwachsenen durch den Verzicht auf Haarspray das Ozonloch geschlossen hätten. Unterbrochen wird der dramatisch-rhythmische Wortschwall durch die Live-Interpretation von Pop-Evergreens des letzten Jahrtausends inklusive Harfenbegleitung, die es den Darstellerinnen erlaubt, ihr komisches Talent auszuspielen und als musikalische Brücke funktioniert: An den „Wind of change“ haben wir schließlich alle einmal geglaubt. Und sich die Zukunft nicht fantasiebefreit als Wiederholung der Vergangenheit vorzustellen, ist auch für die Vertreter*innen der Eltern- und Großelterngeneration keine schlechte Idee. Minimalismus in Bezug auf Bühnenbild und Technik legt den Fokus der Produktion eineinhalb Spielstunden lang voll auf die vier jugendlichen Darstellerinnen und ein recht anspruchsvolles Sprechstück. Den minutenlangen tosenden Applaus haben sich die talentierten Schauspielerinnen für ihr durchgehend präzises, präsentes (Sprach-)Spiel mehr als verdient.

Credit: Clemens Nestroy