Städtebau mit Sinnfrage bei Digithalia im Schauspielhaus Graz
Kritik: Ekklesia, Staatstheater Augsburg
Text: Sigrun Karre - 21.03.2025
Rubrik: Theater
Die zweite Ausgabe des Festivals für virtuelle Theaterformen am Schauspielhaus Graz zeigt neben Eigenproduktionen auch internationale Arbeiten dieses noch jungen und offenen Genres. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie relevant und spannend digitales Theater sein kann, liefert die Digitaltheater-Sparte des Staatstheaters Augsburg: 'Ekklesia'ist ein vielschichtiges Planspiel mit Tiefgang.
Mit 'Ekklesia' präsentiert das Staatstheater Augsburg im Rahmen des Digithalia-Festivals eine beachtlich komplexe VR-Produktion, die das Theater temporär vom Bühnenraum ins Simulationsspiel verschiebt. Als eine:r von acht "Probanden" einer "Simulationsstudie" eines fiktiven demografischen Instituts baut man mit Controller und VR-Brille knapp 40 Minuten lang seine eigene Stadt und trifft dabei Entscheidungen, die nicht nur infrastrukturell, sondern auch weltanschaulich wirken. Das immersive Erlebnis zeigt: Die Frage, wie wir leben wollen, ist auch eine ästhetische.

Credit: Benjamin Seuffert
Erzählformen im Umbruch
Im Zentrum steht ein Spielprinzip, das an Aufbauklassiker wie Sim City erinnert, jedoch ergänzt durch drei Erzählerfiguren, die das Geschehen nicht nur theatral rahmen. Jede dieser Stimmen – von der unterkühlten KI Agi über den kapitalistischen Motivator Dagobert Lack bis zur weiblichen (kultur-)trunkenen Dionysos-Figur – steht für ein Entwicklungsnarrativ. Je nachdem, welche Gebäude man platziert, gewinnt eine dieser Figuren an Einfluss – auf den Verlauf der Geschichte und potenziell auf das Verhalten der Spielenden. Wer häufiger von Dagobert Lack angesprochen wird, beginnt möglicherweise unbewusst, höher und dichter zu bauen. Entscheidungen und Narrative stehen in einem ständigen Wechselspiel. Die Szenen – geschrieben von Robert Maximilian Rausch – entfalten sich nicht chronologisch, sondern abhängig von den Entscheidungen der Teilnehmenden. Es gibt keine lineare Dramaturgie, sondern ein Narrativ, das sich in Echtzeit entfaltet – individuell, flüchtig, subjektiv. Regisseur Lukas Joshua Baueregger schafft ein Erlebnis, das sich mehr wie ein Gedankenraum als ein Theaterabend anfühlt. Die zunächst karge VR-Welt gewinnt an Details und Atmosphäre, die Musik von Lilijan Waworka verstärkt die immersive Wirkung. Man verliert zeitweise jedes Gefühl für Ort und Dauer – bis man die Brille abnimmt und in den Austausch mit den anderen Teilnehmenden treten kann.

Credit: Benjamin Seuffert
Theater als Denkraum
Nach dem Spiel folgt das Gespräch. Die Teilnehmenden verlassen den virtuellen Raum und reflektieren gemeinsam ihre Entscheidungen, beobachten Gemeinsamkeiten und Widersprüche. In diesem Moment wird klar, was Ekklesia eigentlich ist: eine Einladung zur Auseinandersetzung mit den eigenen Haltungen. Ekklesia ist – nicht überraschend – kein klassischer Theaterabend – aber es ist Theater im besten Sinne: partizipativ, sinnstiftend, humorvoll, herausfordernd. Es verhandelt Fragen, die weit über das Spielfeld hinausreichen. Wer wissen will, wie spannend virtuelles Theater sein kann, sollte sich in den nächsten Tagen im Salon des Schauspielhaus Graz an den VR-Tisch setzen.

Credit: Benjamin Seuffert
Ekklesia, Staatstheater Augsburg
Text: Robert Maximilian Rausch
Idee & technische Realisation: Benjamin Seuffert
Regie & Produktionsleitung: Lukas Joshua Baueregger
Dramaturgie: Tamara Steber
Musik: Lilijan Waworka
Mit Klaus Müller, Jenny Langner, Mehdi Salim, Christina Jung
Eine Produktion der Digitaltheater-Sparte des Staatstheater Augsburg.