Knallige Dystopie von Maria Lazar

Kritik: Die Hölle auf Erden, Schauspielhaus Graz

Text: Lydia Bißmann - 15.03.2025

Rubrik: Theater
Kritik: Die Hölle auf Erden, Schauspielhaus Graz

Otiti Engelhardt, Anke Stedingk, Thomas Kramer, Luiza Monteiro. (Credit: Lex Karelly

Unter der Regie von Katrin Plötner bringt das Schauspielhaus Graz mit „Die Hölle auf Erden“ nun schon das zweite Stück der in Vergessenheit geratenen und seit wenigen Jahren wieder gerne gespielten Autorin Maria Lazar auf die Bühne.

Entstanden ist daraus eine ästhetisch mehr als anspruchsvolle, knallbunte Inszenierung, in der Darsteller:innen, Kostüm, Maske und Technik Höchstleistungen vollbringen. Das kaschiert kleine Temposchwächen in der Regie und verleiht dem Stück dennoch das Zeug zum Publikums-Hit.
Kritik: Die Hölle auf Erden, Schauspielhaus Graz

Otiti Engelhardt, Thomas Kramer, Luiza Monteiro, Marielle Layher (Credit: Lex Karelly)

Große Themen und kleine Leute

Maria Lazar nimmt sich in ihrem Stück Die Hölle auf Erden großer Themen an. Wie groß sie tatsächlich sind, war der Autorin Mitte der 1930er-Jahre vermutlich selbst noch nicht ganz klar. Dass und wie sich eine absolute Katastrophe wie ein globaler Krieg wiederholen könnte, konnte sie damals im dänischen Exil wohl nur ahnen. „Am Vorabend des nächsten Weltkriegs“ siedelt sie ihre Komödie an – eine Komödie, in der niemand Geringerer als Gott höchstpersönlich mitspielt. In Erscheinung tritt er allerdings nicht selbst; stattdessen schickt er Petrus (Thomas Krammer) als seinen Stellvertreter auf die Erde – jener Erde, der er selbst längst den Rücken gekehrt hat und deren Jubiläum im Himmel lediglich für Katerstimmung sorgt. In Begleitung zweier unternehmungslustiger Engel (Luiza Monteiro und Otiti Engelhardt) spricht er im Namen Gottes beim Völkerbund vor, der per Zeitungsinserat eine freie Stelle für diese Funktion ausgeschrieben hat.

Die Lage ist ernst im Westeuropa der 1930er-Jahre: Die Waffen rasseln, auf den Straßen wird tatkräftig gestritten, und die Maschinengewehrschüsse knallen dem Publikum im Schauspielhaus unangenehm laut um die Ohren. Professorin F. (Marielle Layher) hat sich durchgesetzt und die Lage in die Hand genommen. Ihr Kollegium in der Gesundheitsabteilung des Völkerbundes – ein medizinisch geschultes Akademiker:innen-Konglomerat (Franz Solar, Oliver Chomik und Annette Holzmann) – weiß bestens über die ungesunden Auswirkungen des Kriegs Bescheid, zaudert jedoch gerne, wenn es um konkretes Handeln geht.

Thomas Kramer steht der gefallene Engel Luzifer mit seiner amical-süffisanten Höflichkeit einfach viel besser als der verzweifelte Petrus, obwohl er ihn in seiner biederen Fantasielosigkeit mehr als nur gut trifft. Dass mit Engeln eben nicht immergut Kirschen essen ist, beweisen auch Pax (Luiza Monteiro) und Lux (Otiti Engelhardt) mit voller Hingabe. Allerdings wird es den beiden vitalen Himmelsgestalten spätestens dann zu viel, wenn der Pastor (Sebastian Schindegger) und seine Frau (Anke Stedingk) bereitwillig auf Engel und/oder Menschen mit dem Gewehr zielen und auch schießen.

Kritik: Die Hölle auf Erden, Schauspielhaus Graz

Annette Holzmann, Sebastian Schindegger, Oliver Chomik. (Credit: Lex Karelly)

Humanismus gegen Mutlosigkeit

Mit sehr viel Fein- und Zeitgefühl gibt Marielle Layher die humanistisch überzeugte Professorin F., die mit ihrer Hands-on Mentalität versucht, die Lage zu retten. Sie scheitert aber an ihrer näheren und ferneren Umgebung: am ignoranten, bürokratischen Völkerbund, der mit Friedenskonferenzen umgeht wie mit einer Bridgepartie, an ihren eigenwillig agierenden Kindern (Oliver Chomik als feiges Rich-Kid mit einer Vorliebe für Marschmusik und Otiti Engelhardt als klassenkämpferische Anne) und ihrem der Spiritualität und dem Spiritus ergebenden Ehemann (Sebastian Schindegger) und der faschismusverseuchten Gesellschaft. 29 Rollen werden vom Ensemble in Summe dargestellt, man wundert sich, wie schnell sich jemand umziehen kann, so viele sind es. Vier davon spielt allein Anke Stedingk (Hausmädchen, Pastorsfrau, Krankenschwester und Journalistin), und sie tut das (wie immer!) mit vollster Konzentration und unglaublich viel Elan. An dieser Schauspielmaschine pulsiert alles, wenn sie performt – jedes Härchen, jedes Fältchen an ihrem Körper streckt sich bereitwillig der Rolle entgegen und lässt keine Sekunde ungenutzt verstreichen. 

Kritik: Die Hölle auf Erden, Schauspielhaus Graz

Thomas Kramer, Otiti Engelhardt, Luiza Monteiro (Credit: Lex Karelly)

Eine göttliche Tragödie in Knallfarbe

Die Dramatikerin Maria Lazar hat ihr Stück als Komödie bezeichnet, das Lachen hält sich aber trotz ziemlich guter Original-Wortspiele („Na schön, ich hab ja nichts gegen eine Annonce. Aber sie muss doch nicht gleich in eine Zeitung kommen“ oder “Wir Menschen sind eben komische Leute. Alles menschliche ist uns fremd, alles natürliche ist uns zuwider”) und ein paar tagesaktuellen Schenkelklopfer-Beigaben zurück. Die Tragödie überwiegt in Katrin Plötners Inszenierung des Anti-Kriegs-Stück deutlich, nach dem God-Walk zu bedrohlichen Klängen (Musik: Markus Steinkellner) auf der Drehbühne vorbei an Obdachlosen im Schlafsack, Leichen in Pietà-Haltung und einer Zarah Leander auf einem Stoffedelweiß (extrem beeindruckend Annette Holzmann) lacht es sich einfach nicht so gut. Auch dann nicht, wenn der Stellvertreter-Gott und die Engel grotesk als sie selbst verkleidet sind. Darüber tröstet aber die spektakulär-schlicht ausgestattete Bühne (Bettina Pommer) hinweg, die mit treffender Farbgebung (die rot-blau-gelbe Dreifaltigkeit) mit sehr viel Weiß, rot-weiß-rot gestreiften Kostümen des Bürgertums (Bettina Werner) oder effektivem Lamellenhintergrund Mut zur Reduktion mit einem Hang zur Fülle kombiniert.

Kritik: Die Hölle auf Erden, Schauspielhaus Graz

Ensemble (Credit: Lex Karelly)

Die Hölle auf Erden. Eine Komödie am Vorabend des nächsten Weltkriegs von Maria Lazar

Besetzung: Professorin F., Gott: Marielle Layher Heiliger Petrus, Teufel: Thomas Kramer Engel Lux, Puppenspiel (das reiche Kind, Mutter und das kranke Kind), Ellen, Tochter von Professorin F., Junge Fischerin, Tochter vom alten Fischer: Otiti Engelhardt Engel Pax, Puppenspiel (Kinderfräulein, das arme Kind, Krankenschwester) Hanna, Freundin von Ellen: Luiza Monteiro Max, Ehemann von Professorin F., Pastor, Scheitel 1, Schatten der Pflegerin (Irrenanstalt): Sebastian Schindegger Professor A, Bob, Scheitel 3, Der andere Irre: Oliver Chomik Anne, Pastorsfrau, Journalistin 1, Pflegerin (Irrenanstalt): Anke Stedingk Professorin B, Detektivin 1, Scheitel 2, Der Irre: Annette Holzmann Professor C., Detektiv 3, Alter Fischer: Franz Solar Detektiv 2, Journalist 2: Željko Marović Regie: Katrin Plötner Bühne: Bettina Pommer Kostüme: Bettina Werner Musik: Markus Steinkellner Dramaturgie: Anna-Sophia Güther Licht: Anton Oswald
Kritik: Die Hölle auf Erden, Schauspielhaus Graz

Oliver Chomik, Annette Holzmann, Marielle Layher, Franz Solar (Credit: Lex Karelly)