Theater für das innere Auge beim InTaKT-Festival 2023

Kritik: Aufzeichnungen einer Blinden im Volkshaus

Text: Gastkritik von Robert Goessl - 27.11.2023

Rubrik: Theater

Credit: Markus Bruckner

Im Rahmen des InTaKT-Festivals produziert das Theater Quadrat im Volkshaus in Graz "Aufzeichnungen einer Blinden“. Das InTaKT-Festival umfasst inklusive Tanz-, Theater- und Filmvorführungen, bei denen es um das Miteinander von Menschen mit Behinderung und Nichtbehinderung geht.

Zu Anfang gebe ich gleich einmal zu, ich habe das Theaterstück nicht gesehen. Das hat aber mit dem Prinzip der Inszenierung zu tun. Es geht um Erfahrung, um Spüren und Wahrnehmen, darum in eine andere Welt ein- und auch abzutauchen:

Theater Quadrat

„Farbe ist ein Augenlid, das sich schließt, ein leichtes Vergehen, leuchtend, dunkler Genuss.“ Es geht darum, die Welt aus anderer Sicht zu "sehen", aus der Sicht eines Mädchens, das mit 7 Jahren erblindet ist und wie sich deren Wahrnehmung der Welt verändert: „Sie war sieben Jahre alt, als sie innerhalb einer Woche erblindete, das Zimmer, in dem sie lag, war verdunkelt worden.“ Beim Eintritt setzt man eine Augenbinde auf und wird zu seinem Platz geführt, das verursacht einen kalkulierten Kontrollverlust, der neue Möglichkeiten eröffnet: „Nun war die Präsenz der Tage anders geworden, der Tag schied sich von der Nacht durch graduelle Unterschiede, sie nahm schließlich das Dunkel an, weigerte sich nicht, umfasste es.“ Das von Gina Mattiello geschriebene Stück wird abwechselnd von ihr und Ninja Reichert gesprochen, wobei sich diese dabei durch den Raum bewegen, wodurch ein räumliches Hörerlebnis entsteht. Der poetische Text, zeitweise in Form eines Dialogs zwischen einer Blinden und einer Sehenden angelegt, beinhaltet Rückblicke und Erinnerungen an eine Zeit vor dem Verlust des Sehsinns, die mehr und mehr verblassen: „Ihre Mutter war innerhalb von zwei Jahren gänzlich aus ihrer visuellen Erinnerung verschwunden."

Credit: Markus Bruckner

Es wird die langsame Veränderung einer inneren Welt spürbar, in der sich eine neue Form der Empfindung entwickelt. Hören und Fühlen, Tasten und Spüren verstärken sich als Kompensation des verlorenen  Sehvermögens und kreieren neue, innere (Gedanken-)Bilder: „Das Band zwischen Hand und Auge war gelöst. Sie hatte ein neues Band zwischen dem Ohr und der Hand geknüpft.“ Dass die Blindheit nicht einfach nur ein Mangel ist, sondern eine besondere Sensibilität und eine andere, intensivere Wahrhaftigkeit der Gefühlswelt eröffnet, wird nachvollziehbar: „Du siehst nicht, was die Blinde sieht!“ Meist im Hintergrund, aber manchmal auch in den Vordergrund dringend, wird dieses Erlebnis von einer Klangkulisse aus moderner Musik begleitet, komponiert von German Toro-Perez und Reinhold Schinwald, der auch live die Klangregie macht, unterstützt von Manuel Alcatraz Clemente am Schlagwerk. Die Produktion ist ein sehr stimmiges Ereignis, eine Theatererfahrung nah am Hörspiel, das ich zwar nicht mit den Augen gesehen habe, aber an einem Abend der (Selbst-)Wahrnehmung mit anderen Sinnen erleben durfte. Weitere Termine: 28.11., 30.11. und 01.12. jeweils 20:00 Volkshaus, Lagergasse 98a, 8020 Graz Karten: office@theater-quadrat oder 0699/17162819

Robert Goessl kann man nach Ü3.000 absolvierten Theaterbesuchen wohl als "theaternarrisch" bezeichnen. Oft ist er gleich mehrmals in der Woche vor der Bühne kleinerer und größerer Theater in der Steiermark anzutreffen. Seine Passion für die darstellende Kunst beschreibt er so: "Ich habe nicht das Gefühl, etwas gefunden zu haben, sondern ich wurde von etwas gefunden."