Eine Kinderoper als Maschine

Im Interview: Elena Kats-Chernin, Komponistin

Text: Stefan Zavernik - 05.12.2025

Rubrik: Musik
Im Interview: Elena Kats-Chernin, Komponistin

Komponistin Elena Kats-Chernin gelang mit ihrer Kinderoper ein internationaler Erfolg. (Fotocredit: Jacintha Nolte)

Ende November feierte die Kinderoper „Schneewittchen und die 77 Zwerge“ seine mitreißende Premiere an der Oper Graz. Wir sprachen mit der international erfolgreichen Komponistin Elena Kats-Chernin über ihren Opernerfolg und die Faszination am jungen Publikum.

Im Interview: Elena Kats-Chernin, Komponistin

Corina Koller als Schneewittchen und Michael Großschädl als Richard III. (Fotocredit: Werner Kmetitsch/ Oper Graz)

Ihre Kinderoper Schneewittchen und die 77 Zwerge ist ein Publikumsliebling geworden und wird nun auch in Graz gespielt. Was, glauben Sie, macht den besonderen Reiz dieses Stücks aus – warum hat es so viele Menschen sofort begeistert?

Ich glaube, es ist diese Mischung aus Vertrautem und völlig Verrücktem. Jeder kennt Schneewittchen – aber niemand erwartet ein karatestarkes Mädchen, ein steppendes Kaninchen oder 77 Zwerge, die die Bühne fluten. Kinder spüren sofort, wenn Musik Spaß macht und nicht belehren will. Und Erwachsene merken, dass sie auch mitgemeint sind. Die Musik darf springen: von Klassik zu Pop, von Musical zu kleinen Zeichentrick-Anklängen. Vielleicht ist das der Kern des Erfolgs: Das Stück nimmt junge Menschen ernst, gibt ihnen aber gleichzeitig all die Fantasie, die sie verdienen. Und wenn dann ein ganzes Haus mitgeht – das ist einfach wunderbar.

Ihre Partitur mischt Klassik, Musical, Pop, Schlager und Filmmusik-Anmutungen. Was reizt Sie an diesem Mix?

Kinder sind unglaublich offen. Sie haben noch keine strengen Urteile über Genres. Deshalb kann ich frei arbeiten – mit Humor, mit Kanten, mit Reibung. Es darf nie nur schön sein, sonst wird es langweilig. Gleichzeitig soll es auch Erwachsenen Freude machen. Ich bin ja selbst vieles: ein Kind, eine Großmutter, eine Komponistin. Ich vertraue darauf, dass ich spüre, was psychologisch wirkt. Die Stiefmutter zum Beispiel ist eine wunderbare, böse Figur – ihre Musik ist voller Tango, Schönheit und Brüchen. Kinder dürfen Angst spüren, aber nur kurz. Dann löst es sich wieder.
Im Interview: Elena Kats-Chernin, Komponistin

Nikita Ivasechko als Spiegel und Leah Bedenko als Königin. (Fotocredit: Werner Kmetitsch/ Oper Graz)

Wie haben Sie Schneewittchens Charakter musikalisch gefasst?

Ich arbeite sehr intuitiv. Ich fragte mich damals: Welcher Klang erzählt mir etwas über Schneewittchen, welches Instrument wäre dafür geeignet? Für Schneewittchen war es aus meiner Sicht das Cimbalom. Das Instrument und sein Klang haben etwas Altes, Märchenhaftes und gleichzeitig etwas Glitzerndes. Das passt zu ihr. Sie ist stark, aber auch verletzlich.

Wie funktioniert Ihre Zusammenarbeit mit der Librettistin Susanne Felicitas Wolf?

Wir arbeiten extrem intensiv. Zwei Wochen sitzen wir täglich am Klavier, sechs Stunden, manchmal mehr. Sie bringt das Libretto, und wir gehen Zeile für Zeile durch. Ich improvisiere, sie sagt: „Zu kompliziert, zu schön, zu 19. Jahrhundert, zu wenig poetisch“ – und wir suchen weiter. Es ist wie Malen: Ändert man eine Farbe, verändert sich das ganze Bild. Natürlich wird später alles orchestriert, angepasst an die Stimmen. Das ist ein langer, technischer Prozess, aber ein sehr schöner.
Im Interview: Elena Kats-Chernin, Komponistin

Die Singschul der Oper Graz als Zwerge. (Fotocredit: Werner Kmetitsch/ Oper Graz)

Kinderopern sind ein besonderes Genre. Was fasziniert Sie daran?

Diese Freiheit. Kinder sind ehrlich. Wenn sie fesselt, was auf der Bühne passiert, dann spürt man das sofort. Und wenn nicht, auch. Ich denke, eine Kinderoper darf eine richtige „Maschine“ sein – immer in Bewegung, ohne Leerlauf. Trotzdem braucht es Momente zum Durchatmen. Für mich ist es ein Geschenk, junge Menschen so früh mit Musik und Theater zu berühren.

Gibt es Momente in Ihrer Oper, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

Ja, viele. Das Cimbalom-Thema von Schneewittchen. Das Tango-Gift der Stiefmutter. Der Barock-Monteverdi-Spiegel, der eigentlich immer schlafen will. Und „Tanz mit mir“ – ein Lied, das sich wiederholt und wie ein kleines Schlagerjuwel durch das Stück wandert. Diese Mischung macht die Oper lebendig. Ich hoffe, dass das Publikum das genauso spürt.