Vom Aktionskünstler zum Bild-Dichter
Günter Brus. Ein irrer Wisch im BRUSEUM
Text: - 07.05.2024
Rubrik: Kunst
Mit der Ausstellung Ein irrer Wisch nimmt das BRUSEUM erstmals Brusʻ Übergang vom Aktionskünstler zum Bild-Dichter in den Fokus und zeigt anhand zahlreicher Werke, wie er die körperorientierte, autoaggressive Motivwelt seiner Aktionen in sein zeichnerisches Werk transferiert.
Vor rund 50 Jahren entstanden, sind sie nicht immer leicht anzusehen, passen aber perfekt in unsere Zeit eines aufziehenden Neo-Biedermeier, hinter dessen Fassade des Anstands und der politischen Korrektheit die Untiefen des Menschlichen prächtig gedeihen und Chauvinismus und Rassismus an den Stammtischen wieder ein Stelldichein feiern.
Im Herbst 1967 entwickelt Brus sein Konzept der Körperanalysen, bei dem er auf jegliches künstlerische Material verzichtet und ausschließlich mit dem eigenen Körper und seinen Flüssigkeiten arbeitet. Die Aggressionen, mit denen die Gesellschaft auf Brus reagiert, veranlassen den Künstler dazu, seine Aktionen als bewusste Provokation gegen den Staat und die Gesellschaft zu inszenieren. Als er am 7. Juni 1968 im Hörsaal 1 des neuen Institutsgebäudes der Wiener Universität im Rahmen der Veranstaltung „Kunst und Revolution“ eine seiner Körperanalysen durchführt, kommt es zum Skandal. Der Boulevard ergeht sich in denunzierenden Bezeichnungen und fordert die Verhaftung des Aktionisten, der als Rädelsführer ausgemacht wurde. Es kommt zur Anklage und Brus wird wegen „Herabwürdigung österreichischer Symbole“ und „Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit“ zur Höchststrafe von sechs Monaten „strengem Arrest“ verurteilt.
"Ein österreichischer Akt". (Credit:: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek)
Tabubruch und Realismus als Strategie
Parallel zu dieser Neujustierung in seinen Aktionen wandelt sich auch sein zeichnerischer Stil. Der Strich, der bisher gleich einem Skalpell die Fasern des Körpers aufgeschnitten und sichtbar gemacht hat, dient nun einer Binnenzeichnung, die eine Plastizität und damit eine neue Form des Realismus evoziert. Als Reaktion auf die Repressalien, die er von Staat und Gesellschaft erfährt, schärft er die Ausrichtung stärker auf das Geschlechtliche, um damit das Provokationspotenzial zu erhöhen. Tabubruch und Realismus sind seine Strategie, um dem erlittenen Unrecht etwas entgegenzusetzen. Die Berufung gegen sein Urteil wird abgelehnt, doch zu diesem Zeitpunkt schreibt ihm Gerhard Rühm, dass in Berlin eine kleine Wohnung für ihn bereitsteht, und er fordert ihn auf, ihm nach West-Berlin zu folgen: „überleg nicht lang und komm her! […] scheiss doch auf österreich“!
Ausstellungsansicht „Günter Brus. Ein irrer Wisch“ im BRUSEUM (Credit: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek)
Der Übergang vom Körper zum Textkörper
Vom Kohlkunstverlag in Frankfurt erhält Brus bereits Ende des Jahres 1969 den Auftrag, eine Dokumentation seiner Aktionen zu erstellen. Anfangs klebt er Fotos seiner Aktionen in das Buch und erläutert diese mit Texten, doch nach kurzer Zeit bricht er ab, denn er will nicht „als Verwalter der eigenen Vergangenheit“ fungieren. Er beginnt, die Erfahrungen seiner aktionistischen Zeit zeichnerisch aufzuarbeiten und spontan Texte dazu zu verfassen. Es ist ein letztes anarchisches Agieren gegen die diversen Institutionen der Macht wie etwa Kirche, Staat, Justiz oder Bundesheer, eine wütende Abrechnung mit allem, was die freie Entfaltungsmöglichkeit des Menschen einschränkt. Es entsteht der Text-Bild-Band Irrwisch, der den Übergang vom Körper zum Textkörper repräsentiert und mit dem letzten Kapitel über die Pfaueninsel bereits auf die späteren Bild-Dichtungen vorausweist.
Ausstellungsansicht „Günter Brus. Ein irrer Wisch“ im BRUSEUM (Credit: Universalmuseum Joanneum/J.J. Kucek)
Der Blick hat sich gewandelt
Die Einzelzeichnungen, die im Umkreis des Irrwisch entstehen, kann Brus 1971 in der Galerie Michael Werner ausstellen. Die realistischen Bleistiftzeichnungen mit ihrem spröden, teilweise fast unbeholfen wirkenden Strich kreisen um die Verletzungs- und Sexualthematik. Brus lässt keine Provokation aus, spannt seine Menschen in unmögliche Folterapparaturen und stellt die gesellschaftliche Bigotterie und Perversion an den Pranger. War es in den Aktionszeichnungen sein eigener Körper, der von Maschinen und Apparaten malträtiert, gefoltert und verstümmelt wurde, so sind es jetzt die Repräsentanten der österreichischen Gesellschaft, die „wichtel“, wie Muehl sie bezeichnet, die in zerstörerische Mechanismen und Strukturen eingespannt dargestellt werden.