Über eine Haltung, die unser Miteinander bereichert

Buchkritik: Eleganz, Barbara Vinken

Text: - 31.07.2023

Rubrik: Literatur

Barbara Vinken (Credit: Jürgen Bauer)

KUMA-Buchkritik (Lydia Bißmann)

„Eleganz – über eine Haltung, die unser Miteinander bereichert“ ist ein in 25 Kapiteln sanft chronologisch verfasster Essay, in dem Haltungen und Meinungen zur Kunst der schönen Lebensführung angeführt werden. Wer sich hier eine Style-Bibel mit Kleidungstipps erwartet, liegt ganz falsch. Literaturwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin Barbara Vinkens hat zwar Mode als Spezialgebiet, aber in ihrer jüngsten Publikation geht es um etwas anderes. Schöne Stoffe und raffinierte Schnitte sind es ihrer Meinung nach nicht, die einen Menschen zu einem eleganten und folglich angenehmen Zeitgenossen machen. Eleganz ist ein soziologischer und philosophischer Abriss über einen oft falsch verstandenen Begriff, kommt aber so gar nicht wie ein Sachbuch daher. Wie auf einem Nachmittagsspaziergang mäandert Vinkens in ihrem Buch aufmerksam, aber entspannt zwischen Antike, bürgerlicher Emanzipation, gelebtem Dandytum einst und jetzt, dem Verlust des öffentlichen Raums als Begegnungszone, Männer-, Frauen- und Genderthemen, antiken Held*innen und modernen Ikonen herum. Sehr geschickt verwendet sie ihre eigene Form der gendergerechten Sprache, springt von männlichen zum weiblichen Plural, zählt Musikerin und Maler nebeneinander auf. Das ist hübsch, leichtfüßig und unaufdringlich. Vieles, was wir unter Eleganz verstehen, kommt aus den adeligen Höfen des Barock. Die Kunst, eine spannende und witzige Konversation zu führen, sich selbst und anderen eine angenehme Zeit zu verschaffen und gleichzeitig ein gutes Publikum und gute Performer zu sein. Hofdamen und Hofherren mussten nicht zur Arbeit und hatten viel Zeit, diese Fertigkeiten zu elaborieren. Wer jetzt an adelige Dekadenz denkt, hat natürlich recht, aber Ausbeutung, sexuelle Unterdrückung, Rassismus und überhaupt alle Arten von Ungleichbehandlung sind laut der Autorin enorm „unelegant“. Viele dieser Themen hängen eng mit der durch die Aufklärung entstandenen bürgerlichen Leistungsgesellschaft zusammen, in der nur noch monetäre Aspekte und Wettbewerb zählen. Barbara Vinkens hat mit ihrem Buch einen wunderschönen Band vorgelegt, der keine Ratgeberlektüre ist, aber ganz ohne fertige Rezepte zum Nachdenken und Handeln inspiriert. Wie verzaubert, teilt sich das Leben plötzlich in die Kategorien „elegant“ und „nicht elegant“ ein. Man möchte sich nach der Lektüre sofort einen seidenen Morgenmantel überstreifen, ein herrliches Abendessen kochen und die allerbesten Freunde dazu einladen, obwohl es in der Wohnung überhaupt nicht aufgeräumt ist und der Mantel Mottenlöcher hat. (Lydia Bißmann) Eleganz, Sachbuch Von Barbara Vinken und Saskia Blatakes ISBN: 978-3-7106-0690-8 Seiten: 184 Einband: Hardcover Verlag: Brandstätter Verlag Erscheinungstag: 24. April 2023

Brandstätter Verlag

Barbara Vinken ist Kulturhistorikerin, Literaturwissenschaftlerin und Modetheoretikerin. Seit 2004 ist sie Professorin für Allgemeine Literaturwissenschaft und Romanische Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Gastprofessuren hatte sie u.a. in New York, Paris, Venedig oder Chicago. 2001 erschien ihr erster Bestseller Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos. 2014 wurde ihr Buch Angezogen für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Regelmäßig schreibt sie für Die Zeit, die Neue Zürcher Zeitung und ist Teil der Talkrunde Buchzeit bei 3sat.